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Willi Siber

farbe fassen

 Galerie Ulrike Hrobsky
  22.05. - 05.07.2003

 

 


"farbe fassen" hat Willi Siber diese Ausstellung betitelt.
" farbe fassen" heißt auch sein neuer Katalog.

" farbe fassen" - Das meint soviel wie die Handhabung, das Ergreifen und Zupacken, das Aneignen und Ausschöpfen einer Fülle von Farbmaterie.
" farbe fassen" verweist aber auch auf einen kunsthistorischen Fachbegriff: auf die sog. "Fas-sung", das Einkleiden der hölzernen Skulptur in einen Farbmantel.

" farbe fassen!"
Im Zusammenhang mit Willi Sibers Kunst erscheint dieser Ausdruck wie eine programmatische Erläuterung, wie ein Imperativ mit Ausrufezeichen.

Willi Siber ist Maler und Zeichner, Bildhauer und Objektkünstler.
Die Farbe - Pigment und Bindemittel in jeglicher Form – ist für ihn unumgänglicher Gegen-stand, ist Voraussetzung, Mittel und Inhalt seines Tuns.
Die Farbe ist Rezept und Zutat für einen sinnenhaften Ausdruck.
Immer stellt sie sich in den Dienst der künstlerischen Erforschung von Wahrnehmungsphä-nomenen.

Willi Siber studiert in den 70er Jahren an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart Steinbildhauerei.
In den 80er Jahren beginnt er sich auf den Umgang mit Holz zu konzentrieren.

Er greift damit auf einen Werkstoff zurück, der in seiner lebendigen Materialität besonders ausdrucksfähig ist, der in der abendländischen Kunstgeschichte in einer weit ins Mittelalter zurückreichenden Tradition steht und der in der Kunst der letzten 20, 30 Jahre eine wert-schätzende Renaissance erfährt.

Willi Siber studiert Bildhauerei, doch schon während der Akademiezeit zieht es ihn zur Malerei hin.
Heute stehen Malerei und Bildhauerei in seinem Werk gleichberechtigt nebeneinander.

Mehr noch: Malerei und Bildhauerei greifen ineinander über, beeinflussen sich gegenseitig und finden in plastischen Wandobjekten und objekthaften Bildtafeln zu einer eigenwilligen Synthese.

So groß die Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksformen ist, so groß ist auch die Variati-onskraft innerhalb der Zeichnungen, Bilder, Skulpturen und Objekte.

Diese Vielgestaltigkeit resultiert aus der Erörterung fundamentaler bildnerischer Themen, die Willi Siber auf unterschiedlichsten Ebenen in seiner Kunst verfolgt:

die Fragen nach dem Werkstoff und seiner Bearbeitung, nach dem verwendeten Farben- und Formenkanon, nach dem Raum und seiner Erscheinung.

In der seriellen Erarbeitung sucht Willi Siber nach immer neuen Möglichkeiten, die Grundlagen sinnlicher Wahrnehmung auszuloten, das optisch-illusionistische Wechselspiel von Fläche und Raum, Licht und Schatten, Materialisierung und Entkörperlichung auszuschöpfen und weiterzuentwickeln.

In welchem künstlerischen Medium er sich auch ausdrückt, immer spielt er mit verschieden-sten bildnerischen Ordnungsprinzipien, immer inszeniert er scheinbar optische Gewissheiten, um sie sogleich wieder in Zweifel zu ziehen.

Die Bilder: Sie leben aus Farbe und Materie – aus einer Mischung von Pigmenten und Pulvern, Emulsionen, Öl- und Druckfarben, Lacken und Latex.

Sandpapiere und Teerpappen, Röntgenfolien und Stoffe, PVC und MDF, Eisenbleche und natürlich die unterschiedlichsten Hölzer werden als Bildträger aufgeboten, bemalt und über-pudert, verdichtet und abgeschmirgelt, lackiert, lasiert und überschichtet.

Die experimentelle Kombinatorik dient dem Künstler zur permanenten Auseinandersetzung mit der sinnlichen Material- und Farbwirkung ebenso wie der Erforschung sensibler Raumil-lusionen.

Im Aufbau sind die Bilder klar in Flächen gegliedert. Sie halten sich untereinander in einem spannungsvollen Gleichgewicht und konstruieren Bildräume, deren Eindeutigkeiten immer wieder durch kontrastreiche Farbakzente, durch optische Brüche, Überlagerungen und Ver-schiebungen, durch ein breites Spektrum widersprüchlicher Oberflächenqualitäten, durch glänzende oder matte, rauhe oder glatte, transparente oder opake Schichten irritiert werden.
Die Brechung einer strengen Tektonik durch unmerkliche Abweichungen charakterisiert so-wohl Willi Sibers Bildsprache als auch sein plastisches Werk.
Vor Jahren hat der Künstler begonnen, die Formen aufzubrechen, von der geschlossenen Skulptur zum additiv erarbeiteten Objekt überzugehen und damit das wichtigste bildhauerische Thema in der Kunst der Moderne neuerlich zur Diskussion zu stellen: die raumgreifende Öffnung des plastischen Volumens.

Willi Siber bedient sich völlig unterschiedlicher Mittel des Raumgriffs.Er nutzt Durchbrüche und Aufsätze, Hohlräume und Vergitterungen. Immer aber geht er von einfachen, regelmäßigen und in sich ruhenden Grundkörpern aus, die er in einen bewegten Dialog mit organoiden Kleinformen treten lässt.

Da sind zunächst die massiven Wandtafeln und Objekte, deren Oberflächen wie ein borstiges Fell mit kurzen, splissig gebrochenen oder glatt gesägten Holzzapfen überzogen sind.

Einzeln und aus der Nähe betrachtet wirken die scharfen Spleißen der zerklüfteten Bruch-hölzer verletzend: Abweisend und wehrhaft ragen sie aus der Fläche. Doch in ihrem flächi-gen Zusammenspiel, ihrem zellartigen Verbund verleihen sie den Oberflächen ein dynami-sches und verführerisch samtiges Erscheinungsbild.

Wie Raumfühler oder kurze Tentakeln ertasten die einzelnen Holznoppen den skulpturalen Umraum. Organische Lebendigkeit wird suggeriert.
Ihren Gegenpart finden die mit Bruchhölzern besetzten Objekte in Wandtafeln, deren eben-mäßige Oberflächen durch eingestanzte Löcher in die Tiefe des Materials vordringen.

In den kleinen Schächten und Hohlräumen konzentriert sich das zerstörerische Potential des künstlerischen Eingriffs, das explosionsartige Zerbersten der Holzfasern im Moment des Durchbruchs.

Doch die stille und kühle Homogenität der Bildkörper bündelt die Energie in jenen Einbrüchen, die wie Poren einer Haut Licht und Schatten, Ruhe und Bewegung zu atmen scheinen.

Ihren Höhepunkt erreicht Willi Sibers Auseinandersetzung mit der materiellen Reduktion in den skelettierten, feingliedrigen Gitterobjekten. Es sind scharf konturierte, zerbrechlich instabil wirkende Gebilde - langgestreckte Balken und regelmäßige Kuben, konvex gewölbte Kissen und amorphe Wolken -, die der Künstler aus diaphan umflochtenen Hohlräumen entwickelt.

Wie Netzgewebe umspannen die unzähligen, rauh gesägten und miteinander verleimten Holzpartikel die Formumrisse.
Sie verkörpern nur noch die Idee einer plastischer Substanz.

Ihre lichtdurchdrungenen Leichtigkeit lässt die Grenzen zum Raum verschwimmen. In einer osmotischen Wechselwirkung diffundiert der Raum durch das Gitterwerk. Er wird zum ei-gentlichen Volumen der Skulptur.

Es ist das Spiel mit dem Kontrast und dem Verschmelzen von Fläche und Raum, das den Künstler reizt.

Willi Sibers künstlerisches Ziel besteht nicht in der materialgerechten Offenlegung des Ar-beitsvorgangs, sondern in der Nutzung des Werkstoffes Holz mit seinen Möglichkeiten der Verfremdung.

Ihn interessiert, wie sich Stammholz, Blockware, Sperrholz oder Tischerplatten sägen, bre-chen, spalten, splittern, schleifen, durchstoßen und verleimen lassen. Und ihn interessiert die reine Form- und Oberflächenwirkung, die allein durch das Überfangen der natürlichen Mate-rialstrukturen mit einer Patina aus pigmentierten Emulsionen, Teer, Schellack, Kalk, Kreide oder Kohlenstaub zu voller Geltung kommen kann.

Alles in Willi Sibers künstlerischem Schaffen erwächst einer inneren Ambivalenz zwischen planvoller Überlegung und unmittelbarer Spontaneität.eine Zeichnungen und Bilder, Skulpturen und Objekte vereinen größte bildnerische Gegensätze: raumgreifender Massivität und schwereloser Entkörperlichung, Reduktion und Fülle, Oberflächenkonzentration und Raum-tiefe, Transparenz und Volumen, Monumentalität und Kleinteiligkeit, naturhafte Materialität und künstliche Verfremdung.

In ihrem Verzicht auf Eindeutigkeit laviert ihr Erscheinungsbild zwischen Nähe und Distanz, Einfachheit und Komplexität, Dichte und Auflösung, Statik und Dynamik, Assoziation und Illusion.

Im Sinne der Postmoderne ist Willi Sibers Kunst als ein offenes System angelegt, als ein offenes System aus Interpretations- und Handlungsangeboten, das uns als zunächst passive Betrachter zu Mitschöpfern, Mitspielern und Teilnehmern befähigen möchte.

So sind wir aufgerufen, je nach Standort, Bewegungsrichtung und Entfernung vom betrach-teten Objekt die unterschiedlichen Form-, Licht- und Raumdurchdringungen und die Wandlung des Bildeindrucks von Fläche und Volumen zu erfahren.

Gerade Willi Sibers Gitter- und Noppenobjekte fordern unsere sinnliche Aktivität heraus. Durch diese sinnliche Aktivität, durch ihre räumliche Beziehung zu uns als Betrachter, die wir einen Bewegungsprozess verwirklichen, erlangen sie ihre Lebendigkeit.

Es sind die stillen, lyrischen Qualitäten, die Willi Sibers Kunst über die Didaktik bloß ange-wandter Wahrnehmungstheorie hinausheben.
Für Willi Siber gibt es keine letzte, allgemeingültige Wirklichkeit und Wahrheit.
Seine Bildsprache ist das Produkt eines suchenden Prozesses des Änderns und Bewahrens, des Aufspürens unvermuteter Erscheinungsformen im vermeintlich Bekannten und der Aus-einandersetzung mit der Verwundbarkeit organischer Systeme.

Seine Bildsprache möchte irritieren, verunsichern und Zweifel an der Gültigkeit unserer opti-schen Wahrnehmung auslösen.

Und so enthält seine Bildsprache stets Momente des Ahnungsvollen und Unnahbaren, des Geheimnisvollen und Doppeldeutigen, das keinen besseren Ausdruck finden könnte als in dem Ausstellungs- und Buchtitel "farbe fassen".

(Dr. Stefanie Dathe)