Video- und Computer-Kunst, um einen Hilfsbegriff für jene
Bildfolgen zu gebrauchen, die weder der Information noch der kommerziellen
Verwertbarkeit dienen, generieren Produkte, die Teil eines gigantischen
Bildreservoirs sind. Innerhalb dieser mittlerweile unüberschaubaren
Bildermenge haben einige Bilder (vor allem historische Bilder, aber
auch nicht alle) traditionell den Status von Kunst, andere ? die
überwiegende Mehrheit - nicht. Über die Video-Kunst fand
eine lange andauernde Debatte statt, weil sie sich durch ihre besondere
Werkstruktur den traditionellen Mechanismen der Kunstgeschichte
entzieht. Allerdings kann diese Debatte innerhalb eines künstlerischen
Kontexts, der sich seit dem Beginn des Jahrhunderts gerade auch
durch das gekonnte Überschreiten der Grenzen zwischen High
und Low, E und U auszeichnet, nicht sinnvoll sein, denn die Reproduktion
ist längst Bestandteil des künstlerischen Produkts. Bernd
Klinger, der darum weiß , arbeitet mit Video und Computer,
weil sie die Produktion von Bildern erleichtern, denn sie funktionieren
wie das menschliche Gedächtnis und Bewusstsein: Im digitalen
Archiv der Bilder (und der potentiellen Bilder, denn alles, und
existierte es nur im Kopf seines Schöpfers, kann Bild werden,
und wird es auch nie sichtbar gemacht, so existiert es doch) gibt
es keinen Unterschied zwischen Nähe und Distanz, Öffentlichem
und Privatem, Ernsthaftem und Unsinnigem. Der äußere
Zeitablauf ist aufgehoben; Zeit organisiert sich entlang einer inneren
Achse der Erinnerung und Assoziation. Früher hat Bernd Klinger,
der seit 1975 mit Video arbeitet, eben gefilmt, fotografiert und
gezeichnet, mit demselben Anspruch des Umsetzens innerer Bilder.
Schneller, bequemer und mit dem Vorteil der Ausschaltung von individueller,
"virtuoser" Oberfläche arbeitet der Computer, der
auf zeitlich und räumlich weit Entferntes ebenso schnell zugreift
wie auf ganz Nahes. Technische gesehen, bahnt sich damit die Auflösung
der Geschichte in eine unentrinnbare Gegenwart an, in der alles
und jedes verfügbar ist und alles gemacht und noch einmal gemacht
werden kann (Hans Belting). Diese Unentrinnbarkeit ist Bernd Klingers
wichtigstes Thema. Er hat sie seit den Sechziger Jahren in Zeichnungen,
Installationen, Aktionen, Fotos und Videos dokumentiert. Es gibt
keinen anderen Ausweg als die Beschreibung ebendieser Unentrinnbarkeit,
denn: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt (Ludwig
Wittgenstein), und die Welt ist eben eine Kugel mit den Arbeiten
Bernd Klingers an der Oberfläche, durch eine gigantische Nabelschnur
gespeist aus einem ebenso witzigen wie bedrohlichen Knochen, den
vielleicht ein unzureichend informierter Hund durch die Galerie
zerren wird. Je drastischer Bernd Klingers Beschreibung seiner Welt
ausfällt, desto leichter kann sie bei oberflächlicher
Betrachtung als egomanisches Kreisen um das eigene Selbst interpretiert
werden ? und desto höher ist ihr skandalöses Potential
in einer Zeit der bis zum Überdruß bemühten falschen
Anteilnahme an allem und jedem.
Das Kreisen um das Selbst ist immer auch ein Kreisen um den Körper,
und die Reflexion des Körpers ist in Bernd Klingers Arbeiten
allgegenwärtig. Das Arbeiten mit Bewegung und Bewegtheit, mit
dem semantischen und traditionellen Gehalt von Gesten und Haltungen,
mit Be-Kleidung und Nacktheit ? auch klassischer Nacktheit, repräsentiert
diese doch eine in einen Typus transzendentierte Individualität
und bietet damit eine imaginäre Möglichkeit der Entgrenzung
? ist von Anfang an in Bernd Klingers Arbeiten präsent. Körperteile,
wie Augen in Kübeln und zu Trickfiguren verfremdete Münder,
aber auch Bekleidung und Wäsche wie im Fall des sprechenden
Unterhosencharlie sprechen eine Sprache des Körpers, die verunsichernd
ist und witzig, respektlos und komisch . In den elektronischen Medien,
die eine traditionelle Handschrift ausschließen, wie im übrigen
schon Körperkunst und Fluxus zuvor, thematisiert Bernd Klinger
das Selbst als Analogie zum großen digitalen Bildspeicher:
Es kann wählen ? aber nur innerhalb dessen, was das eigene
Gedächtnis vorrätig hat und was das eigene Bewußtsein
zu assoziieren bereit ist. Seine eigenen Grenzen kann es unter gar
keinen Umständen überschreiten. Aber das Wissen darum
macht das Persönliche politisch, ebenso wie Bernd Klingers
Wissen um die Eigenschaften der Bildmedien jedes Statement zu einem
kritischen macht.
Inge Podbrecky
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