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Fred Sandback

 

GALERIE HUBERT WINTER
 13.11. - 23.12.2015


Vernissage: am Donnerstag, dem 12. November 2015, um 19:00 Uhr

Da wir alle atmen, die ganze Zeit, ist es seltsam, wenn jemand anders uns anweist, wie und wann wir atmen sollen. Und wie lebhaft du auch ohne die geringste Fantasie sehen kannst, was dir als anwesend geschildert wird, mit Geländer und Gummischürfleiste, und was sich nach rechts in eine Dunkelheit hinabwindet, die vor dir zurückweicht.
Mit Schlaf hat das nichts zu tun. Ihre Stimme ändert sich auch nicht, wird nicht leiser. Sie ist einfach da, spricht ganz ruhig, und du auch.

David Foster Wallace, Der bleiche König. Dt. v. U. Blumenbach. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2013

Über Fred Sandback.
Auszüge aus einem Gespräch von Franziska Hausmaninger (FH) mit Hubert Winter (HW), 20. 11. 2012.

HW
Letztlich bin ich zu der Ansicht gelangt, dass Fred Sandbacks Durchmessen der Räume und dieses lange Sitzen im Raum vor der Installation einer Ausstellung nicht dem Versuch eines Verstehens des Ausstellungsraumes sondern dem Nachdenken über seinen eigenen Raum im Raum galt. Fred schaffte eigene Räume, unabhängig von den Eigenschaften des Ausstellungsraums. Er kreierte Räume, um den (Galerie/Museums-) Raum zu verlassen. Keinesfalls ist seine Arbeit ortsspezifisch. Es ging ihm um so Etwas wie Purismus, das Pure, nicht um Raum-Gestalten und schon gar nicht Raum-Besetzen. Er dachte an seinen eigenen Raum, wenn er sich im Raum umsah. Den realen Raum wollte er vergessen. Es war ein privater Vorgang; sehr privat, sehr scheu, hermetisch.

FH
Die frühen Arbeiten waren doch, zumindest auch, ein Fingerzeig auf die meistens nicht wahrgenommenen Details der Räumlichkeit, in der wir uns befinden.

HW
Ja, bei den shadow pieces mag das so gewesen sein. Fred war unglaublich gebildet, reflektiert und er war in seiner Zeit von „Raumbesetzern“ umgeben, Judd, Andre, LeWitt, Serra. Ideologisch, emotional gingen die ihm gegen den Strich und er war in der Minimal-Szene nicht präsent, er war buchstäblich nicht sichtbar. 

FH
Um das Thema Fred Sandback und sein Verhältnis zur Minimal Art aufzugreifen: „So wie der Ballonfahrer den Ballast der Materie – den beschwerenden Sand – zurücklässt, um der Schwerkraft zu entgehen,“ so befreite Fred Sandback die Skulptur von dem Ballast der Materie, bemerkte Carsten Ahrens im Katalog der Kestner-Gesellschaft Hannover 1987.  Sandback selbst sagte, es sei sein Wunsch gewesen, den Körper der Skulptur ohne opake Masse zu realisieren. Andererseits ist Sandbacks formales Vokabular ohne die Arbeit der Minimalkünstler, die auf eine maximale, fast aggressive, Körperlichkeit setzten, schwer denkbar. Siehst Du in der Entscheidung für das weiblich konnotierte Strickgarn und in dem Verzicht auf opake, solide Materialität, neben der zweifellos vorhandenen Innovation, eine ostentative, kritische Absetzbewegung gegen die „Raumbesetzer“ der Minimal Art? 

HW
Schwierig. Er war sicher davon beeinflusst, aber nie wirklich in der Minimal-Szene präsent. Er schaffte sich einen eigenen Rückzugsraum im öffentlichen Raum. Er arbeitete gegen den Trend, Plätze zu belegen, zu besetzen. Freds Idealform war vielleicht die eines mönchischen Lebens. Und er hat sein feminines Garn durchaus auch ironisch eingesetzt. Ein Fotobeitrag in Interview zeigt riesige Wollballen in einer Landwirtschaft, Wollfäden in der Mode, als Schmuck, dazwischen eine Arbeit von Sandback: Er fand das gut.

FH
Fred Sandback nannte seine Arbeiten sculptures. Er sprach aber auch von constructions und von situations. Wie lassen sich diese Begriffe differenzieren? Reflektieren sie eine Verschiebung vom Objekt im Raum zu einer Beschäftigung mit dem Raum? Der pedestrian space Sandbacks ist ja als Raum gedacht, in dem Artefakte, Künstler, inzidente Alltagsgegenstände und Menschen interagieren.

HW
Die Unterscheidung der Begriffe ist schwierig. Viel dreht sich um einen Topos vom Anfang der 1970erJahre: an Lucy Lippards The Dematerialization of the Art Object, Das geht zurück auf die Russische Avantgarde der 10er/20er, Stichwort: „non-objective world“, das war damals durchaus –  heute kann man das anders sehen – übertragbar auf Sandback, Weiner,  Barry, eine Art Idealziel für diese Künstler.

FH
Suzanne Delehanty nannte die „Twenty-Two Constructions from 1967“, die Sandback 1986 in Lithographien festhalten hatte, Freds „lexicon of forms.“ In wie fern findest Du es richtig, von einem Formenlexikon bei Sandback zu sprechen und welche dieser Formen haben Deiner Meinung nach zu den überzeugendsten Skulpturen geführt?

HW
Neben seiner Skulptur ist Freds Druckgraphik das Ultimative, großartig. Er verwirklicht, bringt damit Skulptur auf Papier, mit derselben Haptik. Es handelt sich um vollkomme, eigene Formfindungen in der Graphik. Das hat nichts zu tun mit einem Repertoire von Formen. Es ist wie bei Schneeflocken, ein unendliches Universum. Die komplexeste Form ist das U.

Fred ist nicht die Linie an sich,  sondern die Feinheit in der Linie, die Zartheit, nicht das Harte, Knallige. Seine Arbeiten sind sanft, flirrend, sinnlich, nicht glatt. Sie sind eigentlich weich, wunderbar; trotz dieser Gespanntheit haben sie eine Nachgiebigkeit, mit Ausnahme der frühen, harten Drahtskulpturen. Fred hat der Skulptur den Körper entzogen.

aus: Franziska Hausmaninger. Fred Sandback – Vom Raum zur Fläche zur Linie. Wien 2012