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Arnulf Rainer

Galerie Ulysses
 
 

 
 

 
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Acker, 1983, Ölkreide und Öl auf Karton auf Holz, 51 x 73 cm

MIT EKSTATISCHER WUCHT

Diese Bilder springen einem regelrecht ins Gesicht. Mit Wucht. Aus zwei aufeinanderfolgenden Jahrzehnten stammen die Werke, die in der Galerie Ulysses derzeit zu sehen sind, und sie haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun. Die Schau steht unter dem Titel „Arnulf Rainer. Im Klang der Farbe“ und – um im Bild des treffenden Titels zu bleiben: So unterschiedlich die Tempi, die Stimmungen und Instrumente dieser sehr unterschiedlichen Werkgruppen sein mögen, so eindeutig ist doch, dass der Schöpfer derselbe ist. Spricht man über den 1929 in Baden bei Wien geborenen Rainer, muss man natürlich über seine Arbeitsweisen sprechen. Die ältere Gruppe an Werken in der Ausstellung, die so sprechende Titel tragen wie Rainer über Goya (1983/84), Rainer über Rembrandt (1980/81) oder schlicht Chaos (1978/79), stammt aus den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren. Es sind so genannte Übermalungen, jene Technik, für die Rainer berühmt ist. Wobei das, was Rainer hier übermalt – etwa Fotos – oft kaum bis gar nicht mehr auszumachen ist. Man kann es sich nur noch indirekt erschließen, sozusagen durch den Widerhall, den es in Rainers Malbewegungen, in seinem regelrecht plastischen Farbauftrag erzeugt. Man sieht den Bildern an, dass sie das Ergebnis rauschhafter Séancen sind, in deren Verlauf Rainer mit Händen und vor allem Fingern die Fotos beziehungsweise Kartons bearbeitete, die später auf Holz gezogen wurden. Leinwand hätte den Künstler bei seiner Tätigkeit verletzt: „Durch den heftigen Hieb wurde die Haut der Handfläche schon bei mehreren Hieben wund. Blut floß zu Farbe. Da eine Isolierung durch Gummihandschuhe nicht in Frage kam, so wählte ich statt körniger Leinwand ganz glatten Karton“, hält er bereits 1974 fest. Zu dieser Zeit kommt er vom Pinsel auf die Hand, und das ganz organisch, beinahe zufällig: “Als ich einmal bei einem Großphoto über die Wangen malte, brach mir im Malrausch der Pinsel. In der Hast versuchte ich es mit den Händen, schlug, drosch auf die Wange und war fasziniert von der Ohrfeigerei, von den Spuren meiner Handschläge. Ich beschloß, das zu verselbständigen.“ Über die Jahre, Jahrzehnte, verselbstständigt er diese gestische, körperliche Arbeitsweise aber nicht nur, er verfeinert sie auch – wobei man sich den Schaffensprozess selbst nicht als besonders zart oder ätherisch vorstellen darf. Hier wird gearbeitet, was man in der Ausstellung schon allein an den Farbspuren sieht, die über die Ränder der Bilder hinaus auf die Alurahmen fließen. Ein simples Detail, das einen dennoch bei jedem weiteren Bild wieder in ein imaginiertes Atelier, ach was, eine Werkstatt versetzt. Ob diese Werkstatt nun real ist oder nicht, diese Bilder setzen die Fantasie in Gang. Hier hängen nicht einfach tote Gemälde, hier hängt etwas Lebendiges, das den Duft von Farbe, den Schweiß seiner Entstehung noch zu atmen scheint. Denn geschwitzt worden sein muss dabei: Da keine Staffelei Rainer standgehalten hätte, musste er die Unterlagen am Boden kniend bearbeiten, mit buchstäblichen Händen voller Farbe, Farbklumpen, die später Krater und Schluchten, Rillen und Spuren ausbilden. Wobei auch die Farbe selbst, plötzlich in ihrer reinen Materialität so wertgeschätzt, ganz eigene Qualitäten und Facetten entwickelt. Die Arbeit erschöpfte Rainer so, dass er seine Werke – Produkte und Zeugen seines ekstatischen Schöpfungsprozesses – erst Wochen später sichten konnte.

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Wellen, 1993, Öl auf Karton auf Holz, Applikation, ca. 105 x 75.8 cm

Auch heute noch, rund 40 Jahre später, merkt man den Fingermalereien diese archaische, vor anarchischer Lebensgier fast berstende Energie an. Nicht weniger elementar, aber gleichwohl von ruhigerer, beinahe sakraler Kraft sind daneben die Bilder jener Werkblöcke, die in den 1990er-Jahren entstanden. Die Themen sind Natur und Kosmos, einige Werke tragen den Titel Mikrokosmos. Neben Bildern wie Märtyrer (1990/91) finden sich aber auch einige in Kreuzform (Tramonto (Kreuz), 1992/93; Umarmung (Kreuz), 1990/91)). Als Unterlage dienen reliefartige Strukturen von Rasterblechen, Applikationen oder Clichée-Ätzungen. Sterne sind ein wiederkehrendes Motiv. Der Bruch zwischen den Werkblöcken ist nicht zuletzt an biografischen Ereignissen festzumachen: Anfang der 1990er-Jahre wurden in Rainers Atelier 38 seiner Werke übermalt. Nachdem Rainer selbst verdächtigt und gegen ihn ermittelt wurde, bat er schließlich um frühzeitige Emeritierung an der Akademie der bildenden Künste. Die Ereignisse beeinträchtigten, wenig verwunderlich, auch seine Gesundheit. Mit diesem Wissen lässt sich die spirituelle, beinahe geläuterte Aura der Bilder noch ein wenig besser, konkreter nachvollziehen. Und so zeichnet die Ausstellung mit ihren nicht einmal 30 Bildern nicht zuletzt wichtige Entwicklungsspuren im Schaffen, aber implizit auch im Leben eines der wichtigsten zeitgenössischen österreichischen Künstler nach.

Andrea Heinz

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Chaos, 1978/79, Öl auf Foto auf Holz, ca. 61 x 49 cm

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Heller Stern, 1998/99, Öl auf Karton, auf Holz, Applikation, 102 x 73 cm

© Fotos: Roland Krauss