Vom 5. bis 28. Juni 2001 zeigen wir in einer ersten
Einzelpräsentation "Raumzeichnungen" von Paul Thuile.
Der 1959 in Südtirol geborene Künstler absolvierte sein
Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst/Wien bei Prof.
Oswald Oberhuber und Prof. Ernst Caramelle (Abschluß 1988).
Derzeit ist Paul Thuile Dozent an der Freien Universität Bozen
und an der Akademie für Design Bozen (Studienfach Zeichnen
und Produktgestaltung). Vergangenes Jahr erhielt er den Kunstpreis
Città di Suzzara.
"Das Thema der Wahrnehmung des Alltags bildet
den Kern der Arbeit Paul Thuiles, der die Rezeptionsmechanismen
einem mehrfachen Verfremdungsprozess unterzieht. Dieser Prozess
geht von einem beobachteten Objekt aus - das kann das Detail einer
Badewanne sein, eines Regals, eines Haustelefons, irgendeines Einrichtungsgegenstandes
- das in einer Zeichnung reproduziert wird, die alle Regeln der
linearen Zentralperspektive aufhebt. Die durch Eckperspektive verzerrte
Annäherung beabsichtigt, die Aufmerksamkeit auf die jeweils
individuelle Beziehung zu lenken, die sich zwischen betrachtendem
Subjekt und dem betrachtetem Objekt ergibt. Diese Zeichnungen werden
nicht etwa auf einer Papierunterlage, sondern direkt auf den Wänden
der Räume ausgeführt, in denen die Objekte sich befinden:
normalerweise verlassene, zum Abriss bestimmte Gebäude. Der
Vinschgauer Künstler untersucht die gewohnten Wahrnehmungsmechanismen
zudem noch eingehender, indem er das Objekt und seine grafische
Interpretation in einer Fotografie festhält. Der Fotografie
kommt die Aufgabe eines kritischen Instruments zu, das dazu dient,
unsere Anschauungsgewohnheiten in Frage zu stellen, und diese begnügt
sich nicht mit einer einfachen Dokumentation. Eine nicht unbeträchtliche
Komponente von Paul Thuiles Arbeit bildet auch die Bearbeitung von
Erinnerungsspuren: dabei geht es nicht um eine feierliche, allumfassende
Erinnerung, sondern um eine intime, alltägliche. Die Gegenstände,
die zusammen mit einem alten Haus der Zerstörung anheimfallen,
sind unspektakulär, alltäglich - und sie könnten
Teil unseres eigenen Lebens gewesen sein. Der Künstler von
heute neigt weniger dazu, ein kollektives Gedenken feierlich zu
begehen; stattdessen erachtet er es als nötig, das Außerordentliche
in der vertrauten häuslichen Erinnerungssphäre aufzusuchen.
Das entspricht auch der großen Idee des Austausches zwischen
Kunst und Leben, wie das zwanzigste Jahrhundert sie verstand."
(Letizia Ragaglia, aus dem Katalog "Ver-dichtung des Alltags",
Stadtgalerie Bozen, 2000).
Paul Thuile's eigene Erläuterungen: "Ich
bin Zeichner. Im Projekt "Zeichnungen an der Wand" zeichne
ich das, was ich in der Wohnung sehe und vorfinde, wie Gegenstände,
Durchblicke, Einblicke und dergleichen direkt auf die Mauern. Wenn
ich zeichne stehe ich sehr dicht an der Wand und nahe dem Gegenstand
den ich darstelle. Durch meine Position beim Zeichnen entstehen
perspektivische Verzerrungen, ähnlich wie bei einer Weitwinkelfotografie.
In einem zweiten Arbeitsschritt fotografiere ich die Wandzeichnungen
und wähle den Ausschnitt so, daß zugleich Teile des Raumes
bzw. des gezeichneten Objektes zu erkennen sind. Durch das Zurücktreten
beim Fotografieren zeige ich eine ergänzende Perspektive zu
den Zeichnungen. Die Räume werden meist kurz nach meiner Arbeit
saniert oder abgerissen und die Zeichnungen somit zerstört.
Die Fotografie bleibt. ...".
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