Sprache der Emigration - Projektbeschreibung
Diese Ausstellung besteht aus Fotografien und Video-Interviews
mit 9 Emigranten der 30er und 40er Jahre, die aus religiösen
und politischen Gründen von den Nazis verfolgt wurden.
Als mich im Frühjahr dieses Jahres (1999) der Zufall mit einer
deutschsprachigen Emigrantin zusammenführte, entdeckte ich
eine Welt, die meiner Generation nur als Mythos bekannt ist und
von deren Realexistenz ich de facto nichts wußte. Aufgrund
dieses Zusammentreffens fing ich an, mich um diese Gruppe von damals
vertriebenen und aus dem Bewußtsein meiner Nachkriegsgeneration
verdrängten Menschen zu interessieren.
Ich habe begonnen, deutschsprachige Emigranten dieser Zeit in
New York zu interviewen. Die Gespräche werden frei geführt,
sind nicht nur auf die erzwungene Emigration konzentriert, sondern
auch auf das Leben danach und auf heute. Die Wahl der Sprache ist
frei, lehnen doch einige Leute es ab, deutsch zu sprechen. In einigen
Gesprächen wandern die Befragten nicht nur zwischen Erinnerungen
und Gegenwart, sondern auch zwischen den Sprachen hin und her. Es
wird versucht, ein Lebensbild dieser Menschen zu vermitteln.
Im Unterschied zu den mir bekannten Ausstellungen, Büchern
und Katalogen über diese Auswanderungsgruppe interessiere ich
mich nicht nur für bekannte Persönlichkeiten, Künstler,
Filmemacher und Fotografen, sondern für alle noch lebenden
Menschen, die dieses Schicksal teilen. Abgrenzend auch von der sehr
wichtigen Arbeit, die Holocaust-Archive leisten, liegt bei mir der
Schwerpunkt nicht so sehr in der Auf- und Durcharbeitung des historischen
Traumas, sondern im freien, assoziativen Gespräch, das eine
Idee von der Person und ihrem Leben vermittelt. Es steht nicht die
ehemalige Opferrolle dieser von den Nazis vertriebenen Menschen
im Mittelpunkt, sondern der Erfahrungsreichtum und der damit zusammenhängende
kulturelle und sprachliche Schatz, mit dem diese schon älteren,
oft schon einsamen Menschen leben.
Die Emigrationserfahrung wird über eine Vielfalt von Erzählungen,
Akzenten, Wort- und Sprachvermischungen, aber auch über eine
Ansammlung von Büchern, Objekten, Bildern, Schallplatten, Lebens-,
Eß- und Sprachgewohnheiten erahnt. Die Interviews werden deshalb
auch mit Fotos von den Teilnehmern und deren Wohnungen komplementiert.
Es wird versucht, Elemente ihres Lebens nicht nur für die Nachwelt,
sondern auch für eine jüngere Generation in Deutschland
und Österreich abzubilden. Diese meine Generation soll sehen,
daß es eine Kontinuität in der tragischen historischen
Diskontinuität gibt. Die Ignoranz über dieses Fortbestehen
ist symptomatisch dafür, wie in der Nachkriegszeit und
mehr oder weniger bis heute mit der Existenz dieser Vertriebenen
im Bewußtsein der Tatorte umgegangen wurde.
Mit der Funktion und den Privilegien, die junge zeitgenössische
Kunst für sich beanspruchen kann, versuche ich, diese audio-visuellen
und fotografischen Lebensbilder von ehemaligen Emigranten und deren
Sprach- und Lebenswelt in ihrer beeindruckenden Qualität einem
interessierten Publikum näherzubringen, das üblicherweise
nicht die Wege in die Bibliotheken und die historischen Archive
sucht.
In der Galerie nächst St Stephan Rosemarie Schwarzwälder
werden 9 Portraits von ehemaligen Wienern gezeigt, die heute noch
in New York leben. Die Schicksale dieser Menschen sind sehr unterschiedlich
und reichen vom Überleben von mehreren Jahren Konzentrationslager
Auschwitz bis zur frühen Emigration mit Familie. Es ist darunter
auch ein Portrait mit John Kallir, der Sohn des Gründers der
Galerie nächst St. Stephan, dessen Tochter wiederum heute in
New York die Nachfolgegalerie Saint Etienne führt (St. Stephan
auf französisch, war ja der erste Halt der Galerie in Paris).
Eine Diaprojektion mit dem Titel "Parks 1938
1999" komplementiert diese Arbeit.Rainer Ganahl, 1999
|
|