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Jannis Varelas

Brown Box and the broken Theater

Krinzinger Projekte
 09. 02. - 09.03.2012

Vernissage: am Mittwoch, dem 08. Februar, um 19:00 Uhr

Brown Box and the Broken Theater ist Jannis Varelas erste Einzelausstellung in der Galerie Krinzinger, nachdem er bereits 2006 bei Krinzinger Projekte als Artist in Residence zu Gast war und dort 2007 die Ausstellung Man on the Moon zeigte. In seiner exzessiven künstlerischen Praxis ist Jannis Varelas keinem speziellen Medium verpflichtet. Sein Werk umfasst vielschichtige großformatige Zeichnungen, Skulpturen, Videos, Requisiten und Objekte aus Bühnenbildern und Videosettings sowie Installationen, die bewusst mit „armen Materialien“ spielen.

Die Bevorzugung des Fragmentarischen gegenüber einem systematischen Ganzen entspricht Varelas Absicht, durch eine konstante Negation stilistischer Kohärenz neue visuelle Möglichkeiten zu erreichen. Seine Figuren und Imitationen der menschlichen Form besitzen immer einen symbolischen Wert, während anatomische Versatzstücke wie Augen, Füße, Vulvas oder Phallusse als Anagramme einer steten Veränderung fungieren. Die unverblümte Darstellung von Begehren, Horror, Chaos und Perversion zieht sich als roter Faden durch das Werk, ebenso sein Versuch einer Demaskierung und Entmystifizierung von Referenzen, Symbolen und Archetypen. Gleichzeitig stellt Varelas quälende Fragen nach der menschlichen Natur, in deren Zusammenhang er die Konstruiertheit und Erzeugung von Identität betont und hervorhebt.

Jannis Varelas neue Arbeiten unterstreichen die seiner Kunst inhärente theatralische Natur und liefern einen möglichen Versuch deren stilistische und referezielle Netze zu entwirren. Kinderfernsehserien der späten 70er und 80er Jahren, das Absurde Theater und Jean Genets 1945 geschriebenes und 1947 uraufgeführtes Stück The Maids, welche die Geschichte von unterdrückter Gewalt und förmlichem Mord erzählt, ergeben den referenziellen Background, aus dem seine aktuellen Arbeiten resultieren und die eine dialektische Beziehung zwischen dem Unheimlichen und einer Rückerinnerung an Erfahrungen herstellen. Jean Genet, der berüchtigte französische Romanautor, Lyriker und Dieb behauptete, dass wir alle von der Angst vor Armut kontrolliert seien. Seine Stücke sind Schilderungen von rituellen Kämpfen zwischen den Enteigneten und deren Unterdrückern. In einer Welt, in der die Mehrheit sich von der Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität betrogen fühlt, ist Genets Prosa unzweifelhaft relevant. Neben der Typologie der archetypischen Schilderung von Herr und Diener werden in Varelas Annäherung an das Thema die Codes von Repräsentation und von Gehorsam ineinander verschränkt.

In seiner Videoinstallation „Solanges Dream“ lotet Varelas das Prozesshafte des Mediums und seiner traditionellen Struktur – Anfang, Mittelteil und Ende – aus, indem er die Geschichte „zerreißt“ und die logisch gereihten Sequenzen des Stücks neu ordnet. Ähnlich vergegenwärtigter Erinnerungen kreieren diese kurzen Verzerrungen einen ambivalenten Traumzustand oder eine Fantasie, in welcher die Realität von absurden Spiegelungen ersetzt wird und folglich eine größere Flexibilität an Bedeutung zulässt. Wie in vielen zeitgenössischen Kunstwerken erscheinen seine Protagonisten, eine handgemachte Marionette sowie ein absurdes Eisen-Männchen, als Vertreter eines Alibis, als Surrogat und als Bote – was Thomas Ligotti in The Conspiracy Against the Human Race als die „heimtückisch unnütze“ Natur der Welt charakterisiert –, wobei er die skulpturalen und performativen Möglichkeiten ausleuchtet, die das Marionettentheater bietet.

Für den Hauptteil dieser Ausstellung fand Varelas in The Maids die perfekte Doppeldeutigkeit, die „simpelste“ greifbare „Metapher“ zur Darstellung der Konsequenzen menschlicher Anmaßungen, der Folgeerscheinungen von anormalem Verhalten (im Foucault´schen Gebrauch des Begriffes) und dem Widerspruch zwischen Erscheinung und Realität. Indem er ein Stück wie dieses adaptiert und es nicht als Allegorie oder Manifest, sondern als Geschichte nutzt, schafft er ein „Drama der Zeichen“, ein in Dunkel gehülltes Rätsel. Das ist eine intelligente Strategie und die scheinbar essentielle Régle du Jeu, damit das Spiel weitergehen kann; denn damit postuliert Varelas, dass keine Synthese eintreten kann, sondern vielmehr eine immerwährende Dialektik in der Folgerung Antithese – These – Antithese – These stattfindet.

Im linken Ausstellungsraum zeigt Jannis Varelas seine neuen Arbeit Brown Box ¬– eine Rauminstallation, in welcher „Puppenzeichnungen“ präsentiert werden. Diese dient als Ausgangspunkt für ein neues Projekt des Künstlers: eine imaginäre TV-Show mit dem Titel The Blind Man. Die drei Episoden umfassende Videoarbeit verdankt ihren Namen dem dadaistischen Journal The Blind Man, das 1917 von einer Gruppe New Yorker Dadaisten publiziert wurde. Die Installation ist ein Vorgeschmack auf Varelas geplante dreiteilige Videoarbeit, die den theatralischen Plot von Tom Stoppards Rosencrantz and Guildenstern are dead mit der neurotischen erzählerischen Struktur von Live-TV-Shows kombiniert. Mithilfe des integrativen Elements des Kleinkinderspieles, versucht Varelas eine absurde existenzialistische Tragikkomödie zu schaffen.