
Die Galerie Krinzinger zeigt in der Main Gallery Arbeiten zweier englischer
Künstler: GavinTurk und Helen Chadwick. Zwei Künstler, zwei Geschlechter,
zwei Generationen – aber ein Thema: Die Kunst des Wasserlassens.
Helen Chadwick (1953-1996) machte in den Jahren 1991 und1992 sehr poetische
und elegante Objekte, die an pilzförmige Blumen erinnern. Es sind die
Positiv-Bronzegüsse, gegossen nach Hohlräumen im Schnee, entstanden durch
das Urinieren der Künstlerin in den eisigen Niederschlag. Chadwick war es
stets wichtig, den weiblichen Körper in einer für die traditionelle
Kunstgeschichte ungewöhnlichen und unerwarteten Weise einzusetzen. Durch den
körperlichen Akt der Blasenentleerung entstehen schöne, organisch-bizarre
Formen, die „Piss Flowers“. Sie bilden die perfekte Bühne für Gavin Turks
„Piss Paintings“.
Die Arbeiten des Young British Artists, (geb. 1967) sind ebenfalls sehr
ästhetisch: Auf bronzefarbenem Grund sieht man Tropfen, Flecke, Linienzüge
in ultramarin und türkisblau, kristalin gesplittert oder weich verschwommen.
Auch diese Bilder sind durch den von der Gesellschaft tabuisierten Akt des
Wasserlassens entstanden.
Gavin Turk hatte für die Besucher seiner Ausstellung in der Londoner
Riflemaker Gallery 2007 eine besondere Aktion geplant: Sie konnten – nachdem
sie einige Flaschen Bier getrunken hatten - im Hinterhof der Galerie auf
speziell präparierte Leinwände urinieren. Die in dieser aktionistischen
Performance entstandenen „Piss Paintings“ wurden dann auf den eleganten
Toilletten bei Sotherbys ausgestellt. Die Leinwände waren mit kupfer- und
bronzehältiger Metallfarbe grundiert, die sich dann durch den Kontakt mit
Urin blau verfärbten.
Gavin Turk sieht in den Arbeiten einen starken Bezug zum Wiener Aktionismus,
zum Performativen, dem Arbeiten mit Körperflüssigkeiten – weshalb er die
Galerie Krinzinger mit ihrer aktionistischen Vergangenheit als geeigneten
Ort für die Ausstellung dieser Bilder wählt.
Die Idee mit den „Piss Paintings“ hat Gavin Turk natürlich ganz unverschämt
von Andy Warhol gestohlen. Der Brite, der sich schon andere große Helden der
modernen Kunstgeschichte zum Vorbild genommen und sich ihre Werke angeeignet
hat, zitiert jene „Oxidation Paitings“ von Warhol aus den 1970er Jahren, bei
denen die Mitarbeiter seiner Factory auf mit Kupferfarbe bestrichene
Leinwände urinierten. Die sich daraus ergebenen abstrakten Strukturen und
organisch-explosierenden Effekte entstehen durch das Oxidieren des Metalls.
Bei dem Arbeitsvorgang, der Bearbeitung der auf dem Boden liegenden
Leinwände mit einer Flüssigkeit, die von oben heruntertropft, nehmen die
Werke bezug auf die Drip Paintings von Jackson Pollock und spielen mit dem
High und Low in der Kunst der Pop Art.
Trotz der instiktiven Abneigung gegen das verwendete Arbeitsmittel kann man
sich der formalen Schönheit der Skulpturen von Helen Chadwick und der Bilder
von Gavin Turk nicht entziehen.
Der Titel „Piss Off“ ist als Wortspiel zu verstehen: Er nimmt einerseits
bezug auf den Begriff Play Off aus dem Sport, und ist andererseits eine
Warnung an das Publikum, sich von den verseuchten Botschaften fernzuhalten. |