Dóra Hegyi über Emese Benczúr:
In der Arbeit "Should I live to be a hundred. Day by Day
I think about the future 1998-2069" (1998) bestickte Emese
Benczúr endlose Bänder für Kleideretiketten mit
dem Schriftzug "day by day". Sie registriert über
diesen Weg ihre täglichen meditativen Minuten, die sie, wenn
möglich, allein mit ihrer Arbeit verbringt. Das Kunstwerks
entsteht durch eine traditionelle Frauenarbeit, die Stickerei. In
der Wiederholung des immer gleichen Arbeitsvorganges geht es der
Künstlerin aber weniger um die Repräsentation der mechanischen
Serienproduktion, als um das Hervorheben jedes einzelnen Tages in
seiner Einzigartigkeit. In jener Zeit, die sie mit Sticken verbringt,
entsteht das Kunstwerk und gleichzeitig wird der kreative künstlerische
Prozess reflektiert.
1994 stickt sie täglich während drei Wochen den Satz
"It must be great to have so much free time" in eine Leinwand.
Ihre Überlegung dabei war, wie wunderbar es sein müßte
ein Leben voller Frei- statt Arbeitszeit zu leben. Während
sie stickt nimmt sie wahr wie die Zeit vergeht, genau jene Zeit,
die sie mit Arbeit füllt.
Emese Benczúr beschäftigt auch der Gedanke wie ihre
Arbeit innerhalb des Kunstdiskurses, ebenso wie gesellschaftlich
beurteilt wird. Da Künstler Arbeit leisten, ohne an einen spezifischen
Zeitrahmen gebunden zu sein, entsteht für viele Menschen der
Eindruck, als würde ihr Tag ausschließlich aus Freizeit
bestehen. Demnach leisten Künstler, gesellschaftlich betrachtet,
keine sinnvolle und produktive Arbeit. Das Paradoxe Verhältnis
zwischen "Leben" und "Arbeit" im Kunstbereich
beruht darauf, daß beide nicht voneinander zu trennen sind.
Das Sticken ist traditionell eine Tätigkeit, um Zeit tot zu
schlagen - in Benczúrs Fall dient es dazu ihre Arbeit sichtbar
werden zu lassen.
Ein weiterer interessanter Aspekt Emese Benczúrs Arbeiten
ist, daß Dinge, die wertlos und banal erscheinen, für
sie als Ausgangspunkt für eine sinnvolle Tätigkeit dienen.
Eine Zitronenschale, die normalerweise weggeworfen würde, wird
als von ihr verwendetes Objekt genau zu einem solchen Ausgangspunkt.
In "The consumption and production of a week. The fruit of
my labour" (1996) bestickte sie die Schalen einer Zitrone,
welche sie täglich während einer Woche konsumiert hatte,
mit den Worten "the fruit of my labour". Das Wortspiel
bezieht sich auf den Umstand, daß durch den Kunst-eingriff
plötzlich der Wert der Zitronenschale erheblich steigt. Der
Begriff der "Arbeit" wird dadurch von Benczúr,
die mühsame Arbeit (das Ausquetschen einer Zitrone) dient ausgerechnet
der Erfrischung, ad absurdum geführt.
Hinter dieser Ironie verbirgt sich sicherlich auch die Frage der
Künstlerin, ob sie je die Früchte ihrer Arbeit selbst
ernten können wird.
Zitate aus: Moderna Museet Projekt Emese Benczúr. Moderna
Museet Stockholm 1998
Übersetzung Eng/Deu: Sabine Jelinek
© Moderna Museet und die Autorin.
Dank an Dóra Hegyi.
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