Roman Ondák: fünf oder sechs Beispiele von Maria Hlavajova
In den frühen neunziger Jahren schloß Roman Ondák
philosophische, medizinische und kunstgeschichtliche Texte in Gefäße
mit Formaldehydlösung. In Werken wie "Übersatte Tische"
(96) simuliert Ondák den Kontext von für das Überleben
unerläßlichen alltäglichen Verrichtungen wie der
Nahrungsaufnahme und versieht Milchkartons mit Etiketten, die klassische
Werke der Literatur oder der Kunstgeschichtsschreibung zitieren.
Diese Werke sind über den Prozeß des Sammelns und als
Reminiszenz an Werte zu verstehen, die von der Gesellschaft als
außergewöhnlich betrachtet werden. Ondáks rezente
Werke führen, namentlich in ihrer Brechung durch das Prisma
der "Realität", eine im Oeuvre neue Interpretationsebene
ein.
In "Nahe beieinander" (1997) bringt der Künstler
das Nichts in die Galerie. Im Gegensatz dazu montiert er die Steckdosen
von den Wänden ab, um sie in exakt derselben Höhe frei
in den Raum vorzustellen. Während diese nun physisch näherrücken,
wird andererseits die über die Verkabelung der Wände laufende
Kommunikation unterbunden. Seit diesem Zeitpunkt ist die Entfernung
von bzw. die Teilhabe an der Realität häufiger Gegenstand
in Ondáks Werk. In "Kommunikativer Konsum" (1997)
versteckt er einen Cassettenrecorder in einer Schuhschachtel und
macht Tonaufnahmen vom Straßengeschehen. In weiterer Folge
stellt und ordnet er die Aufzeichnungen dieser Gespräche Kuchenteigformen
in Buchstabenform zu, welche zur Stärkung der Ausstellungsbesucher
angeboten werden. Die entfernte, "intime" Realität
der privaten Unterhaltung kehrt so - nach einem kurzen Stop in der
Galerie - ins reale Leben zurück. Das zwischen Realität
und Institutionalisierung von Kunst liegende Feld bleibt Thema im
Werk "Durch die Augenlinse" (1999), welchem der Charakter
archäologischer Ausgrabungen anhaftet. Das das Territorium
schützende Zelt bringt uns von der kulturellen Institution
in eine andere (die reale?) Welt: eine angrenzende Küche. Die
Küchengeräte sind durch eine Öffnung leicht auszumachen.
Die Funde, die vom "Hier" ins "Dort" übersiedelt
werden, erscheinen ebenso überraschend vertraut: Plastikflaschen,
Bierdosen, Zuckerwürfel und Zutatenpäckchen. Durch Ondáks
Sichtweise erfahren wir die Banalität unserer eigenen Realität.
Dieser neue Kontext, in dem eine kulturelle Institution präsentiert
wird, verschiebt die Problematik. Der Künstler selbst geht
emotionslos von der Grabung ab. Er ist weder an einer visuellen
Definition des künstlerischen Eingriffs noch an einer Ordnung,
die das Verstehen des Ganzen als "Kunstwerk" ermöglicht,
interessiert. Weit mehr lockt ihn die Möglichkeit, die vergeblichen
Anstrengungen des Betrachters, das Werk zu komplettieren, aus der
Distanz zu betrachten. Aber seine Haltung ist keine zynische. Im
Gegenteil stimmt er mit der kreativen öffentlichen Auseinandersetzung
mit einem "anderen"Werk überein - der Bestätigung,
dass es keine große Erzählung gibt sowie dem Bekenntnis
zu einem Werk, welches primär jenseits seiner materiellen Realisierung
und in seinem Verhältnis zur realen Welt und zu individualisierten
Interpretationen existiert. ...
Doch was passiert, wenn wir die Dinge ein wenig ändern? Ersetzen
wir Zufall durch Intention und denken wir uns den Künstler
irgendwo als Reisenden in Bewußtsein eines ähnlichen
Projektes: als jemanden, der sein Verhalten der Logik des Kunstwerks
unterordnet und der präzise den Ort erkundet. Denken wir ihn
uns als Umherblickenden, der "veristische" Zugeständnisse
an andere machen muß, da wir ja ein "Mehr" und ein
"Besser" des Erinnerns von ihm erwarten. Und stellen wir
ihn uns vor im Glauben, dass verbale Artikulation auch in seinem
Fall zu beträchtlich verschiedenen Resultaten führt. Und
damit auch näher an die Realität? ...
(übersetzt aus dem Englischen von Gunter Vogl)
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