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Gunter Damisch

Zeichnung
Malerei
Skulptur

 GALERIE 422
 07.07. - 06.08.2006

 

Vernissage: am Freitag, den 7. Juli 2006, um 19.00 Uhr



Das Alles malen

Zu den Bildwelten von Gunter Damisch

Ganz am Anfang seiner Karriere, um das Jahr 1980 herum, habe er sich, so erzählt Gunter Damisch, mit einem Freund und Kollegen über die Zukunft unterhalten. Man erging sich in Projekten und Konzepten, und dann rückte der Freund mit seinem Plan heraus: Er wolle das Nichts malen. Angesichts solch schwerer Geschütze blieb Damisch nichts anderes übrig, als zu kontern: Dann wolle er selbst das Alles malen.

Nun ist es schlechterdings unmöglich, das Nichts, jene groß geschriebene und groß gedachte Instanz der völligen Absenz, auf die Fläche zu bannen. Man kann die Leinwand unbearbeitet lassen, die Idee unausgeführt und den Raum leer. Man kann nichts malen, aber nicht das Nichts. Kann man nun demgegenüber das Alles malen? Wie es aussieht, hat sich Gunter Damisch tatsächlich diesem Lebenswerk verschrieben. Und wie es ebenfalls aussieht, funktioniert die Inangriffnahme des Alles besser als jene des Nichts.

Das Alles zu malen ist etwas anderes als alles zu malen. Es gibt Künstler in der Gegenwart, Gerhard Richter zum Beispiel, die sich einer Exuberanz der Motive und Methoden verschrieben haben und im Hantieren mit dem Vielerlei zumindest angelegt sein lassen, alles im Auge zu haben. Doch ist der Umsprung von der Quantität der großen Menge zur Qualität eines Ganzen dabei nicht weniger als utopisch. Dies ist der Weg des Gunter Damisch nicht.

Es gibt Künstler in der Vergangenheit, Hieronymus Bosch etwa oder Pieter Brueghel, die es auf eine Simultanität von panoramatischer Weite und minutiöser Kleinteiligkeit abgesehen haben, die man nicht von ungefähr mit dem Begriff „Weltlandschaft“ bezeichnet. Hier öffnet sich in der Tat ein Alles, und diese Zugangsweisen sind Damisch auch explizit vorbildlich. Doch verfügen die Alten Meister nun einmal über eine Garantiererklärung, die den Modernen abhanden gekommen ist. Es gibt keinen Gott mehr heute, der einen künstlerischen Standpunkt autorisieren würde, keine Instanz mehr, die dafür bürgte, dass das Sichtbare und sein Darüberhinaus ein Universum abgäben. Ein solcher Weg, so sympathisch er Damisch anmutet, ist verschlossen.

Seit das Abendland kurzen Prozess gemacht hat mit seinen metaphysischen Gewissheiten, ist das Alles in der Tat ein Problem. Es waren die Enzyklopädisten, die den kulturgeschichtlich erfolgreichsten Ersatz anboten. In der nachvollziehbaren, aber eingestandenermaßen surrogathaften Ordnung des Alphabets wurde ein Kompendium vorgelegt, das nicht alles, was es gibt, im Angebot hatte, aber zumindest so tat. In der Analyse, in der Vereinzelung in gleichberechtigte Bestandteile, war womöglich keine Ganzheit der Welt zu greifen, aber die Einheit dessen, was dem Menschen zur Verfügung stand. Die Enzyklopädie ist ein aufklärerisches Projekt. Sie suggerierte die Universalität der Welt in ihrer Nutzbarkeit.

Es waren die Romantiker, die dagegen aufbegehrten und das Übergreifende und Allumfassende vermissten, das „Totum“, die Berücksichtigung dessen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sie forderten die Synthese. Wenn Gunter Damisch das Alles in Angriff nimmt, um es zu malen, dann fordert er seinerseits die Synthese. Diese Synthese kann nicht von einer Instanz geleistet werden, die von außen kommt, und sei es ein Gott. Diese Synthese ist eine Sache der Perspektive, eine Sache der Begriffe, die man von der Welt und damit von der Natur, hat. So gesehen ist Damisch in einem strengen, historischen, methodischen Sinn ein Romantiker.

„Zwei große allgemeine Ansichten“, so schreibt Madame de Stael in der bedeutendsten Darstellung des kulturellen Lebens in den deutschen und österreichischen Ländern der Zeit um 1800, dienen den Romantikern im Studium der Wissenschaften zu Führern. Die eine ist, dass das Universum nach dem Modell der menschlichen Seele gemacht ist; die andere, dass die Analogie eines jeden Teils des Universums mit dem Ganzen von einer solchen Beschaffenheit ist, dass dieselbe Idee sich von dem Ganzen beständig in jedem Teile, und so von jedem Teile in dem Ganzen abspiegelt. Es ist ein schöner Gedanke, der darauf abzweckt, die Ähnlichkeit der Gesetze mit denen der Natur zu finden, und folglich die physische Welt als ein Relief der moralischen betrachtet."

Zwei bildhafte Prinzipien, so erklärt Madame de Staels 1813 erstmals erschienenes Werk, sichern den Romantikern den Weltzugang: Modell und Analogie. Was sich dabei ergibt, so sagt es eine wunderbare Formulierung, ist „ein Relief“, in dem die natürliche Welt mit der moralischen, also der geistigen Welt korrespondiert. Und in diesem Sinn funktionieren auch Damischs Bilder. Sie erweisen sich dabei buchstäblicherweise als Reliefs.

Es sind weniger die Titel, die, wiewohl sprechend genug, als <k>Weltwegflimmern<k> oder <k>Weltfeldhelle<k> den Bezug vom Gemalten zum Gemeinten herstellen. Es ist vielmehr jene Interferenz zwischen dem ganz Großen und dem ganz Kleinen, dem Makro- und dem Mikrokosmischen, den Quanten und den Quarks, in der sich auf Damischs Bildern das Ganze der Natur zu verstehen gibt. Und es ist vor allem jener Umschlag vom Atmosphärischen der speziellen Bedingungen, in denen die Arbeiten entstanden, zur Anmutung einer generellen Gültigkeit, die die sich aus den Assoziationen und Analogisierungen mit dem Natürlichen erschließt.

Madame de Stael hat diesen Mechanismus folgendermaßen benannt: „Nicht ein eitles Spiel der Einbildungskraft sind die beständigen Metaphern, welche zum Vergleichen unserer Gefühle mit äußeren Erscheinungen dienen – der Traurigkeit mit dem wolkenbedeckten Himmel, der Ruhe mit den Silberstrahlen des Mondes, des Zorns mit den von Winden gepeitschten Fluten – ; es ist derselbe Gedanke des Schöpfers, der sich in zwei verschiedenen Sprachen ausdrückt, von welchen die eine zur Auslegung der anderen dienen kann.“ Im Kleinen das Große, im Eigenen das Andere, im Gefühlten das Umgebende, in der Sprache das Unartikulierte und wieder zurück: So ergibt sich die Anrufung des Alles. Und die Malerei ist ihr Medium.

Bleibt die Frage nach dem Status einer solchen künstlerischen Einstellung. Auf sie hat Friedrich Schlegel, Begleiter der Madame de Stael, Cheftheoretiker der künstlerischen Romantik und Ästhetiker von bis heute ungebrochener Relevanz, eine Antwort gegeben: „Ist es bloß Instinkt, so ists kindlich, kindisch, oder albern; ist’s bloße Absicht, so entsteht Affektation. Das schöne, poetische, idealische Naive muss zugleich Absicht, und Instinkt sein.“ Absicht und Instinkt. So ließe sich also, mit den Worten eines der bedeutendsten Kunstliteraten, die genuine, tastende, assoziierende, fragmentierende Haltung des Gunter Damisch beschreiben: als „das schöne, poetische, idealische Naive“. Wer könnte von derlei nicht bezaubert werden?

 

Auszug aus Katalog „Weltendichte“, Galerie Marie – José van de Loo, München
Text „Mikroskopische Gärten“ von  Wieland Schmied

 

..... Die Bilder von Gunter Damisch können den Anfang nicht vergessen, auch wenn sie sich schon ein gutes Stück von ihm entfernt haben. Sie bewahren ihn in vielen Einzelheiten, tragen ihn mit sich herum , auch wenn sie uns von recht komplexen Konstellationen berichten, in die hinein sie sich entwichet und in denn sie sich verfangen haben.
...Alles scheint irgendwie mit allem zusammenzuhängen , miteinander und ineinander verschlungen , verknäuelt, verknotet zu sein...
...Das Erste, was uns an den Bildern von Gunter Damisch auffällt, ist das Fehlen jeglicher Perspektive. Das schafft einen völlig neuen Raum, wir dürfen ihn Bildraum oder Bewusstseinsraum nennen, in dem sich Schneckenspur und Kometenbahn kreuzen, in dem Amöben und Gestirne einander begegnen, in dem die Raupe, wenn sie nur eine geringe Strecke vorankommt, Erdschichten durchquert, die für Jahrmillionen stehen....