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Alice Attie

Infinities

blank down GALERIE nächst ST STEPHAN
 09.04. - 21.05.2022

 
Eröffnung: Samstag, 9. April 2022, 14 – 17 Uhr
Einführung: Verena Gamper, Kuratorin Leopold Museum, 15 Uhr




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Turning Still, 2021, Buntstift auf Millimeterpapier, 29,5 x 20,2 cm, gerahmt 41 x 32 cm

Das Paradox einer Kugel ist es, dass ihre Fläche endlich, ihre Oberfläche jedoch grenzenlos ist. Wie lassen sich universelle Fragen nach Grenzen und Unendlichkeit darstellen und mit welchen formalen Mitteln kann dieser theoretischen Auseinandersetzung begegnet werden? Die in New York lebende Künstlerin Alice Attie greift in ihrer ersten umfangreichen Einzelausstellung in der Galerie die simple geometrische Form eines Kreises auf, um damit eine komplexe, philosophisch-ästhetische Beschäftigung mit diesen Fragestellungen aufzufächern. Ihre von spielerischer Poetik getragenen Zeichnungen berühren Zeit und Raum, Naturwissen-schaft und Philosophie, individuelles und kollektives Gedächtnis. Die kleinformatigen Tusche- und Buntstiftzeichnungen stehen mit ihren feinen Setzungen in reizvollem Kontrast zu den großen Dimensionen, zu denen sie sich öffnen. Die facettenreichen Darstellungen erhalten ihre Formen durch die Verdichtung und Wiederholung einzelner, gestisch gesetzter Striche oder streng geometrischer Anordnungen. Die Gebilde sind Träger von Informationseinheiten, von Buchstaben, Strichen oder fraktalen Formen, ihre Grenzen und Übergänge meist nicht eindeutig definiert. Victor Hugo zitierend, bemerkt Alice Attie, dass die Linie eine Geste der Untersuchung ist, die uns in die Unendlichkeit zieht. Der Kreis besteht aus einer unendlichen Linie, die sich be-ständig um sich selbst dreht. Für Attie ist es „…eine im Entstehen begriffene Form, ein mathematisches Rät-sel. Der Kreisumfang begrenzt. Der Kreisumfang ist grenzenlos. Unser Planet. Eine Kugel. Unser Zuhause. Unser Leben, der Kreislauf von Werden und Vergehen. Das Zyklische.“

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Land and Seascapes, 2014-2020, Silbergelatine-Fotografie, Ed. 2/10, Image 37,8 x 37,8 cm,
gerahmt 55,5 x 55,5 cm

Der Blick für das Detail findet sich auch in Atties sechs kleinformatigen schwarz-weiß Fotografien. Aufgenommen mit einer Rolleiflex von 1937, rücken sie scheinbar Beiläufiges in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Die Aufnahmen schemenhafter Landschaften gleichen einem zeichnerischen Gestus. Gräser, Pflanzen und Wasserwellen bilden feine Linien und Strukturen und formen Räume aus Licht und Schatten, die sich an einem spannungsreichen Übergang von Konkretem zu Abstraktem befinden. Laut Alice Attie „… lenkt die Kamera auf seltsame Weise unsere Aufmerksamkeit auf alles. Wir sehen, was wir sonst vielleicht nicht sehen würden. Wir geben Acht. Der Wind wehte und die Blumen neigten sich. Die bescheidenen Blumen. Das erste dieser Fotos, die sich auf die Stille, das Atemberaubende, das Erhabene beziehen, habe ich an einem windigen Sommertag im Norden Islands aufgenommen, die anderen dann an der italienischen Küste, im Norden des Bundestaats New York und im Central Park in New York City. Roland Barthes hat einen sehr tiefgründigen Gedanken über das Konzept der Kontingenz und des Zufalls in der Fotografie zu Papier ge-bracht. Er hat festgestellt, wie wir uns in dem wiederfinden, was wir sehen, in dem, was die Kamera uns hilft zu sehen. Dem Kontemplativen. Dem Intimen. Nähe und Distanz.“
Im bildnerischen Werk von Alice Attie, die als Lyrikerin mehrere Gedichtbände veröffentlicht hat, ist Sprache und Schrift von großer Bedeutung – ihre Papierarbeiten basieren zuweilen auf wissenschaftlichen und philosophischen Schriften. Mit ihrer Werkgruppe Professor Fred Neuhouser Rousseau aus der Serie Class Notes wird Sprache als reflexives Gefüge sichtbar. Die handschriftlichen Notationen von Vorlesung über den Schweizer Philosophen ziehen Bahnen, wechseln ihre Richtungen, stoßen an Ränder und werden von diesen zurückgeworfen. Sie bilden ein sich verdichtendes Gewebe von Gedankenfeldern und Assoziationsräumen, die die Philosophie und ihre gedanklichen Konzepte visuell erleben lassen.

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Disturbances, 2014, Tinte auf Papier, 76,5 x 57 cm, gerahmt 81,5 x 61,5 cm

 

ALICE ATTIE, geboren 1950 in New York City, lebt und arbeitet in New York City. Sie promovierte in Vergleichender Litera-turwissenschaft und erhielt ihren Master of Fine Arts im Fach Lyrik. Attie unterrichtete Literatur in New York, bevor sie sich der bildenden Kunst – der Fotografie und vor allem der Zeichnung – zuwandte.

Alice Atties Fotografien und Papierarbeiten befinden sich unter anderem im Whitney Museum of American Art, New York, dem Museum of Modern Art, New York, der Jorge M. und Darlene Pérez Collection, Miami, dem Studio Museum in Harlem, dem Jewish Museum, New York, dem Getty Museum in Los Angeles, der Maxine & Stuart Frankel Foundation, Michigan, der Margulies Collection, der JoAnn Hickey Collection und dem Museum of Fine Arts in Houston, Texas.

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Professor Fred Neuhouser Rousseau January 27 2022, 2022, Tinte auf Papier
30,5 x 22,9 cm, gerahmt 42 x 34,5 cm