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SOL LEWITT

"Wall Drawing, Print, Works on Paper"

  GALERIE nächst ST STEPHAN
  19.09. - 08.11.03

 

Vernissage: Vernissage: am Freitag, dem 19. September 2003, um 19.30 Uhr
Eröffnungsrede: Dr. Brigitte Huck, Kuratorin und Kunstkritikerin


Brigitte Huck:
Zur Ausstellung von SOL LEWITT

Ich freue mich, dass ich heute ein paar Worte zu dieser bemerkenswerten Ausstellung von Sol LeWitt in der Galerie nächst St. Stephan sagen darf. Ich denke, es ist immer wieder ein Ereignis, Werke von Leichtigkeit und Gewicht zu sehen. Einen Weltmeister wie Sol LeWitt muss man natürlich nicht extra loben, man muss nicht großartig darauf hinweisen, dass er einer von den wirklich Nachhaltigen im Kunstbetrieb ist. Für dieses Ereignis müssen wir hingegen Rosemarie Schwarzwälder loben, denn durch ihre Galerie weht der Hauch der Kunstgeschichte. Soviel muss gesagt sein, denn Sol LeWitt ist ein Faktor der Kunstgeschichte, eine Instanz, eine der Säulen der Minimal Art. Und die Galerie nächst St. Stephan ist ihre Wiener Bastion. Hier konnte man über die Jahre immer wieder Werke aus dem innersten Kern der Minimal Art sehen, zu der neben Sol LeWitt Dan Flavin Donald Judd, Robert Morris und Carl Andre gehörten. Rosemarie Schwarzwälder hat uns eine Kunstrichtung nähergebracht, der man nachsagt, dass sie lupenreiner amerikanischer Abstammung wäre, obwohl Brancusis 'Endlose Säule' über den Ozean winkte und es die Europäer waren, die die letzten Bilder malten. Reduzierte, geometrische Formen und die häufige Verwendung vorfabrizierter Elemente bis hin zur Mechanisierung des gesamten Herstellungsprozesses kennzeichnen die Minimal Art formal und methodisch. Sol LeWitt nun ist derjenige Künstler, der aus diesem Kanon ausbricht, liegt sein Werk doch am Rubikon zur Konzeptkunst.

Weil das Leben oft aus schönen Zufällen besteht, dehnt sich das Wiener Ausstellungsgeschehen dieser Tage an seinen Ufern aus. In der Generali Foundation kann man nämlich frühe Film- und Videoarbeiten des Medien-, Konzept- und Performancekünstlers Dan Graham sehen, und in der Galerie Meyer Kainer einen seiner Pavillons, ein Instrument für ästhetische Strategien, die Barrieren zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Wahrnehmung abzuräumen. Dan Graham nun war es, der 1967 einen Artikel über Sol LeWitt geschrieben hat: er hieß 'Two Structures' und es ging um die Gitterstrukturen LeWitts, um jene kubischen Gitterwürfel, aus denen heraus sich die Logistik seines Werks erschließt.

Der Konzeptkünstler Dan Graham beschreibt ein Werk der Minimal Art und entdeckt, man beachte das Datum1967, sozusagen avant la lettre, ihren konzeptuellen Gehalt. Graham ist eine gute Generation jünger als Sol LeWitt und reagiert Mitte der 60er Jahre unmittelbar auf die Minimal Art.

Den Aufsatz hat die renommierte Zeitschrift 'Studio International' zunächst als herätisch abgelehnt, 1970 im Katalog von Sol LeWitts Ausstellung im Gemeentemuseum Den Haag war er ein Hauptbeitrag. Graham beschreibt das Motiv der Reihung innerhalb der Skulpturen Sol LeWitts, den Begriff des Intervalls und den der Serialität. Serielle Verfahren so Graham, führen zu nicht-hierarchischen und nicht-zentrierten Ordnungen, sie unterwerfen das Werk daher keinem Dominanzprinzip, keiner Hierarchie der Ebenen. 'Das Ganze ist für den Betrachter weder von größerer noch von geringerer Bedeutung als seine einzelnen Teile.’ Es ist bezeichnend, dass sich SolLeWitt selbst als ‚serial artist’ bezeichnet und nicht als conceptual artist, wie ihn Dan Graham begreift. Mittlerweile hat auch die Kunsttheorie Sol LeWitt als die Schnittstelle zwischen Minimal und Konzeptkunst ausgeleuchtet und es ist schon nett, dass sich dieser Bogen heute in Wien spannen lässt.

Am besten lässt sich die konzeptuelle Wende im Werk Sol LeWitts an Hand der Walldrawings zeigen, worauf ich gleich zurückkomme. Vorher möchte ich aber auch noch darauf verweisen, dass Künstler wie Donald Judd und Sol LeWitt ihre Positionen in zahlreichen, höchst lesenswerten Texten begründen, und damit auch Einfluss auf die Rezeption ihrer Werke genommen haben. Es hat Ressortfremde immer wieder verwundert, wie aufwändig die ach so simplen Werke der Minimal Art kommentiert wurden, wie viele Worte gemacht worden sind, um Objekte zu erklären, die sich eigentlich ohne verbale Umwege erschließen. In seinem Text ‚Serial Projects Nr. 1’ hat Sol LeWitt die Idee, den Prozess und das serielle System als zentral für seine Arbeit dargelegt und war anscheinend einer Meinung mit Dan Graham. Und jetzt wird es wieder interessant: 1969 schreibt Sol LeWitt für das amerikanische Magazin 'Artforum' einen kunsttheoretischen Gassenhauer: 'Paragraphs in Conceptual Art', gefolgt von ‚Sentences in Conceptual Art’ im Jahr 1969, in den citation indexes der Forschung von nun ab kurz ‚Sentences’ genannt: 35 Sätze über Konzeptkunst, ein Codex, der auf theoretischer Basis die Hauptprinzipien der Konzeptkunst formuliert.

Da ist etwa zu lesen: 'conceptual artists are mystics rather than rationalists', oder: 'the artists will is secondary to the process he initiates from idea to completion'. Oder: 'ideas alone can be works of art'. Oder: 'all ideas are art if they are concerned with art and fall within the conventions of art'. Und: 'perception is subjective'.

Unmittelbar davor hatte LeWitt sein erstes Walldrawing für eine Gruppenausstellung in der Galerie Paula Cooper in New York gemacht. Mit harten Grafitstiften zeichnet er unmittelbar auf die Wand, die Wand ist absolut, genauso wie die Seite eines Buchs, stellt er fest. Das eine sei öffentlich, der andere privat. Hier kommt das Buch als alternativer Präsentationskontext ins Spiel. Lawrence Weiner zum Beispiel, ein Künstler, der der Generation Dan Grahams angehört, hat 1968 seine folgenreichen ‚statements’ als billiges kleines Taschenbuch herausgegeben: wir erinnern uns: '1. the artist may construct the work, 2. the work may be fabricated, 3. the work need not to be built.' Es mag interessant sein, sich in diesem Zusammenhang eine ironische Reflexion auf LeWitts Paragraphs aus der unmittelbaren Gegenwart anzuschauen: die 'Rule Series' der 1966 geborenen englischen Künstlerin Angela Bulloch: sie hat, wie LeWitt, 35 Regeln aufgestellt, die sich auf das Verstehen gewisser Formen von Konzeptkunst beziehen: 'rules, relating to an understanding of certain types of conceptual art.’

Darin heißt es: 'most famous conceptual artists were men', oder: 'hardcore conceptual art was rarely funny, but related work is hilarious.' Oder: 'good conceptual art is relatively uncomplicated when you first encounter it, while on reflection is complicating your relation to art.' Das Kunstwerk 'Rules Series' ist ein Buch und weist klar auf die von Konzeptkünstlern angewendeten semiologischen Wahrnehmungsmodelle hin, die bei Bulloch jedoch ironisch gebrochen werden.

Der wichtigste Satz in Sols LeWitt 'Paragraphs' lautet: 'In der konzeptuellen Kunst ist der wichtigste Aspekt des Werks die Idee oder das Konzept. Wenn ein Künstler eine konzeptuelle Form der Kunst betreibt, bedeutet das, alles Planen und Entscheiden geschieht vorweg, und die Ausführung ist nur noch eine mechanische Angelegenheit.’ Die künstlerische Idee wird getrennt von ihrer Ausführung gedacht, ihr kommt der Status eines eigenständigen Objekts zu. Wenn dies der gedankliche Kern der Konzeptkunst ist, findet sie in LeWitts ‚Proposals for Walldrawings’ ihren ersten konkreten Ausdruck. Bald breiten sie sich über den gesamten Raum aus und behandeln ihn als eine Einheit, als eine Idee. Die Walldrawings sind Arbeiten ohne Titel und werden durchnummeriert. Im Werkverzeichnis von 1992 waren es 701, bis heute sind es viele mehr. Für jede gibt es eine kurze Beschreibung bzw. Anweisung. ‚Usually the title is the plan’, sagt LeWitt. Die bestimmende Idee der Arbeit ist also sprachlich formuliert, ist ein Text und als Arbeitsanweisung für Dritte kommunizierbar.

Eine Anweisung für den Ausführenden lautet zum Beispiel: '10.000 zufällig gezogene, gerade Linien, 1000 Linien am Tag, 10 Tage lang, innerhalb eines Quadrats von 3 Metern.' Oder: 'Linien, nicht kurz, nicht gerade, die sich kreuzen und berühren, 4 Farben (gelb, schwarz, rot und blau), nach dem Zufall gleichmäßig verteilt, in maximaler Dichte, die ganze Oberfläche der Wand bedeckend.' Sol LeWitt entwickelt ein System für seine lines und shapes, das es erlaubt, sie auf jeder beliebigen Wand in unterschiedlicher Größe beliebig oft zu realisieren. Egal, wie oft eine Arbeit realisiert wird, sagt, er, sie ist immer anders, wenn man sie in anderer Dimension ausführt. Die Konstante ist der Text, also die Idee. Wenn nun die ausgeführte und damit als sinnliches Phänomen wahrnehmbare Arbeit dem Konzept gegenüber in dem Maße sekundär ist, dass jemand anderer dazu geeignet ist, sie physisch auszuführen, liegt das Gewicht der künstlerischen Praxis darin, Ideen für die Arbeit hervorzubringen, nicht aber darin, die Arbeit selbst zu machen. Und dafür ist nicht einmal ein geübter Professionist nötig, jeder kann sie machen. Das Walldrawing, das Sie heute hier sehen können, ist ein typischer Fall: es stammt aus dem Jahr 1992 und ist eine Tautologie. Was wir lesen, ist gleichzeitig das, was es ist, der Schriftzug Walldrawing verweist auf sich selbst. Die ultimative Repräsentation eines Walldrawings. Ein geschlossenens System, in dem der Kunstgedanke und die Kunst eins sind.

Die Anweisung lautet: 'wall drawing to be written on a wall in the hand of the owner. Medium and size to be chosen by the owner. Limited to 10 installations.' Der Besitzer der Arbeit produziert sie auch, und wenn die Schreibarbeit beendet ist, wird ein Foto gemacht, das Sol LeWitt signiert und damit als Werk approbiert. Das ist nun eine sehr charakteristische Vorgangsweise, die die formalen, materiellen und konzeptuellen Mittel der Produktion thematisiert. Damit einher geht eine kritische Einstellung, was alle möglichen Formen des Illusionismus betrifft. Sol LeWitt ermahnt uns als Betrachter, die Wahrnehmung des sinnlichen Produkts freizuhalten von ästhetischen Erwägungen und Interpretationen.

Neben der linguistischen Komponente spielt der Modus des Seriellen eine wichtige Rolle. Auch das ist ein Verfahren, das die Kunst generell verändert hat und in der Minmal Art und der Konzeptkunst gleichermaßen bedeutsam ist. In dieser Ausstellung kann man das sehr schön am Beispiel verschiedener früher Editionen Sol LeWitts beobachten, die früheste aus dem Jahr 1971, wo das System der bildimmanenten Wiederholungen und Abwicklungen auf das Prinzip der technischen Reproduktion trifft. Es handelt sich um sehr komplexe Strukturen, eine Variante innerhalb der Serie verweist auf die anderen, ein genauer Plan legt die Art der Verweise fest. Das innere Bezugssystem zum Plan wiederum verklammert die Serie zu einer einzigen Arbeit. Deshalb würde es auch keinen Sinn machen, Serien aufzuteilen oder sich ein vermeintlich attraktiveres Blatt herauszufischen. Im Unterschied zu Abstraktionen, die am Computer gerechnet werden, wie man sie zur Zeit im Künstlerhaus sehen kann, tröstet uns Sol LeWitt mit kleinen Imperfektionen, so minimal sie auch sein mögen.

Es ist interessant, dass die seriellen Verfahren in der aktuellen Kunsttheorie auf einmal wieder von großem Interesse sind, nach den Jahren, die von der Beschäftigung mit Erzählstrukturen und Narrationen geprägt waren. Soeben ist im Reimer Verlag ein neues Buch erschienen, das das Serielle als Technik, Konzept und Methode untersucht. Über eine rein historische Einordnung von Kunstwerken hinaus werden Übergänge und Verbindungen zwischen den Kunstrichtungen deutlich und die Darstellungsmodi von Künstlern, vor allem von Sol LeWitt, jenen verwandten von Carl Andre, Robert Morris, und Donald Judd gegenübergestellt. Der Kick liegt jedoch in den Berührungszonen von minimalistischen Argumentationen mit der Pop Art und Andy Warhol, oder den seriellen Narrationen von Cindy Sherman. Zu dieser Debatte wird die Ausstellung von Hanne Darboven, die morgen im Museum moderner Kunst eröffnet, einiges beitragen.

Zum Schluss habe ich noch eine kleine Überraschung für Sie: es gibt ein Walldrawing von Sol LeWitt ganz in der Nähe. Es ist eine permanent installierte Wandzeichnung im öffentlichen Raum. Sie befindet sich in Wiener Neustadt und gehört zur EVN Sammlung. Die Arbeit ist aus dem Jahr 1998 und ein schönes Beispiel für LeWitts swingendes Spätwerk, das sich durch imposante Großflächigkeit, opulente Farben und ein lässiges ‚more or less’ auszeichnet, wie auf den Gouachen mit diesem Titel im letzten Ausstellungsraum.

© Dr. Brigitte Huck