Brigitte Huck:
Zur Ausstellung von SOL LEWITT
Ich freue mich, dass ich heute ein paar Worte zu dieser bemerkenswerten
Ausstellung von Sol LeWitt in der Galerie nächst St. Stephan
sagen darf. Ich denke, es ist immer wieder ein Ereignis, Werke
von Leichtigkeit und Gewicht zu sehen. Einen Weltmeister wie Sol
LeWitt muss man natürlich nicht extra loben, man muss nicht
großartig darauf hinweisen, dass er einer von den wirklich
Nachhaltigen im Kunstbetrieb ist. Für dieses Ereignis müssen
wir hingegen Rosemarie Schwarzwälder loben, denn durch ihre
Galerie weht der Hauch der Kunstgeschichte. Soviel muss gesagt
sein, denn Sol LeWitt ist ein Faktor der Kunstgeschichte, eine
Instanz, eine der Säulen der Minimal Art. Und die Galerie
nächst St. Stephan ist ihre Wiener Bastion. Hier konnte man über
die Jahre immer wieder Werke aus dem innersten Kern der Minimal
Art sehen, zu der neben Sol LeWitt Dan Flavin Donald Judd, Robert
Morris und Carl Andre gehörten. Rosemarie Schwarzwälder
hat uns eine Kunstrichtung nähergebracht, der man nachsagt,
dass sie lupenreiner amerikanischer Abstammung wäre, obwohl
Brancusis 'Endlose Säule' über den Ozean winkte und es
die Europäer waren, die die letzten Bilder malten. Reduzierte,
geometrische Formen und die häufige Verwendung vorfabrizierter
Elemente bis hin zur Mechanisierung des gesamten Herstellungsprozesses
kennzeichnen die Minimal Art formal und methodisch. Sol LeWitt
nun ist derjenige Künstler, der aus diesem Kanon ausbricht,
liegt sein Werk doch am Rubikon zur Konzeptkunst. Weil das Leben oft aus schönen Zufällen besteht, dehnt
sich das Wiener Ausstellungsgeschehen dieser Tage an seinen Ufern
aus. In der Generali Foundation kann man nämlich frühe
Film- und Videoarbeiten des Medien-, Konzept- und Performancekünstlers
Dan Graham sehen, und in der Galerie Meyer Kainer einen seiner
Pavillons, ein Instrument für ästhetische Strategien,
die Barrieren zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Wahrnehmung
abzuräumen. Dan Graham nun war es, der 1967 einen Artikel über
Sol LeWitt geschrieben hat: er hieß 'Two Structures' und
es ging um die Gitterstrukturen LeWitts, um jene kubischen Gitterwürfel,
aus denen heraus sich die Logistik seines Werks erschließt.
Der Konzeptkünstler Dan Graham beschreibt ein Werk der Minimal
Art und entdeckt, man beachte das Datum1967, sozusagen avant la
lettre, ihren konzeptuellen Gehalt. Graham ist eine gute Generation
jünger als Sol LeWitt und reagiert Mitte der 60er Jahre unmittelbar
auf die Minimal Art.
Den Aufsatz hat die renommierte Zeitschrift 'Studio International'
zunächst als herätisch abgelehnt, 1970 im Katalog von
Sol LeWitts Ausstellung im Gemeentemuseum Den Haag war er ein Hauptbeitrag.
Graham beschreibt das Motiv der Reihung innerhalb der Skulpturen
Sol LeWitts, den Begriff des Intervalls und den der Serialität.
Serielle Verfahren so Graham, führen zu nicht-hierarchischen
und nicht-zentrierten Ordnungen, sie unterwerfen das Werk daher
keinem Dominanzprinzip, keiner Hierarchie der Ebenen. 'Das Ganze
ist für den Betrachter weder von größerer noch
von geringerer Bedeutung als seine einzelnen Teile.’ Es ist
bezeichnend, dass sich SolLeWitt selbst als ‚serial artist’ bezeichnet
und nicht als conceptual artist, wie ihn Dan Graham begreift. Mittlerweile
hat auch die Kunsttheorie Sol LeWitt als die Schnittstelle zwischen
Minimal und Konzeptkunst ausgeleuchtet und es ist schon nett, dass
sich dieser Bogen heute in Wien spannen lässt.
Am besten lässt sich die konzeptuelle Wende im Werk Sol LeWitts
an Hand der Walldrawings zeigen, worauf ich gleich zurückkomme.
Vorher möchte ich aber auch noch darauf verweisen, dass Künstler
wie Donald Judd und Sol LeWitt ihre Positionen in zahlreichen,
höchst lesenswerten Texten begründen, und damit auch
Einfluss auf die Rezeption ihrer Werke genommen haben. Es hat Ressortfremde
immer wieder verwundert, wie aufwändig die ach so simplen
Werke der Minimal Art kommentiert wurden, wie viele Worte gemacht
worden sind, um Objekte zu erklären, die sich eigentlich ohne
verbale Umwege erschließen. In seinem Text ‚Serial
Projects Nr. 1’ hat Sol LeWitt die Idee, den Prozess und
das serielle System als zentral für seine Arbeit dargelegt
und war anscheinend einer Meinung mit Dan Graham. Und jetzt wird
es wieder interessant: 1969 schreibt Sol LeWitt für das amerikanische
Magazin 'Artforum' einen kunsttheoretischen Gassenhauer: 'Paragraphs
in Conceptual Art', gefolgt von ‚Sentences in Conceptual
Art’ im Jahr 1969, in den citation indexes der Forschung
von nun ab kurz ‚Sentences’ genannt: 35 Sätze über
Konzeptkunst, ein Codex, der auf theoretischer Basis die Hauptprinzipien
der Konzeptkunst formuliert.
Da ist etwa zu lesen: 'conceptual artists are mystics rather
than rationalists', oder: 'the artists will is secondary to the
process
he initiates from idea to completion'. Oder: 'ideas alone can
be works of art'. Oder: 'all ideas are art if they are concerned
with
art and fall within the conventions of art'. Und: 'perception
is subjective'.
Unmittelbar davor hatte LeWitt sein erstes Walldrawing für
eine Gruppenausstellung in der Galerie Paula Cooper in New York
gemacht. Mit harten Grafitstiften zeichnet er unmittelbar auf die
Wand, die Wand ist absolut, genauso wie die Seite eines Buchs,
stellt er fest. Das eine sei öffentlich, der andere privat.
Hier kommt das Buch als alternativer Präsentationskontext
ins Spiel. Lawrence Weiner zum Beispiel, ein Künstler, der
der Generation Dan Grahams angehört, hat 1968 seine folgenreichen ‚statements’ als
billiges kleines Taschenbuch herausgegeben: wir erinnern uns: '1.
the artist may construct the work, 2. the work may be fabricated,
3. the work need not to be built.' Es mag interessant sein, sich
in diesem Zusammenhang eine ironische Reflexion auf LeWitts Paragraphs
aus der unmittelbaren Gegenwart anzuschauen: die 'Rule Series'
der 1966 geborenen englischen Künstlerin Angela Bulloch: sie
hat, wie LeWitt, 35 Regeln aufgestellt, die sich auf das Verstehen
gewisser Formen von Konzeptkunst beziehen: 'rules, relating to
an understanding of certain types of conceptual art.’
Darin heißt es: 'most famous conceptual artists were men',
oder: 'hardcore conceptual art was rarely funny, but related work
is hilarious.' Oder: 'good conceptual art is relatively uncomplicated
when you first encounter it, while on reflection is complicating
your relation to art.' Das Kunstwerk 'Rules Series' ist ein Buch
und weist klar auf die von Konzeptkünstlern angewendeten semiologischen
Wahrnehmungsmodelle hin, die bei Bulloch jedoch ironisch gebrochen
werden.
Der wichtigste Satz in Sols LeWitt 'Paragraphs' lautet: 'In der
konzeptuellen Kunst ist der wichtigste Aspekt des Werks die Idee
oder das Konzept. Wenn ein Künstler eine konzeptuelle Form
der Kunst betreibt, bedeutet das, alles Planen und Entscheiden
geschieht vorweg, und die Ausführung ist nur noch eine mechanische
Angelegenheit.’ Die künstlerische Idee wird getrennt
von ihrer Ausführung gedacht, ihr kommt der Status eines eigenständigen
Objekts zu. Wenn dies der gedankliche Kern der Konzeptkunst ist,
findet sie in LeWitts ‚Proposals for Walldrawings’ ihren
ersten konkreten Ausdruck. Bald breiten sie sich über den
gesamten Raum aus und behandeln ihn als eine Einheit, als eine
Idee. Die Walldrawings sind Arbeiten ohne Titel und werden durchnummeriert.
Im Werkverzeichnis von 1992 waren es 701, bis heute sind es viele
mehr. Für jede gibt es eine kurze Beschreibung bzw. Anweisung. ‚Usually
the title is the plan’, sagt LeWitt. Die bestimmende Idee
der Arbeit ist also sprachlich formuliert, ist ein Text und als
Arbeitsanweisung für Dritte kommunizierbar.
Eine Anweisung für den Ausführenden lautet zum Beispiel:
'10.000 zufällig gezogene, gerade Linien, 1000 Linien am Tag,
10 Tage lang, innerhalb eines Quadrats von 3 Metern.' Oder: 'Linien,
nicht kurz, nicht gerade, die sich kreuzen und berühren, 4
Farben (gelb, schwarz, rot und blau), nach dem Zufall gleichmäßig
verteilt, in maximaler Dichte, die ganze Oberfläche der Wand
bedeckend.' Sol LeWitt entwickelt ein System für seine lines
und shapes, das es erlaubt, sie auf jeder beliebigen Wand in unterschiedlicher
Größe beliebig oft zu realisieren. Egal, wie oft eine
Arbeit realisiert wird, sagt, er, sie ist immer anders, wenn man
sie in anderer Dimension ausführt. Die Konstante ist der Text,
also die Idee. Wenn nun die ausgeführte und damit als sinnliches
Phänomen wahrnehmbare Arbeit dem Konzept gegenüber in
dem Maße sekundär ist, dass jemand anderer dazu geeignet
ist, sie physisch auszuführen, liegt das Gewicht der künstlerischen
Praxis darin, Ideen für die Arbeit hervorzubringen, nicht
aber darin, die Arbeit selbst zu machen. Und dafür ist nicht
einmal ein geübter Professionist nötig, jeder kann sie
machen. Das Walldrawing, das Sie heute hier sehen können,
ist ein typischer Fall: es stammt aus dem Jahr 1992 und ist eine
Tautologie. Was wir lesen, ist gleichzeitig das, was es ist, der
Schriftzug Walldrawing verweist auf sich selbst. Die ultimative
Repräsentation eines Walldrawings. Ein geschlossenens System,
in dem der Kunstgedanke und die Kunst eins sind.
Die Anweisung lautet: 'wall drawing to be written on a wall in
the hand of the owner. Medium and size to be chosen by the owner.
Limited to 10 installations.' Der Besitzer der Arbeit produziert
sie auch, und wenn die Schreibarbeit beendet ist, wird ein Foto
gemacht, das Sol LeWitt signiert und damit als Werk approbiert.
Das ist nun eine sehr charakteristische Vorgangsweise, die die
formalen, materiellen und konzeptuellen Mittel der Produktion thematisiert.
Damit einher geht eine kritische Einstellung, was alle möglichen
Formen des Illusionismus betrifft. Sol LeWitt ermahnt uns als Betrachter,
die Wahrnehmung des sinnlichen Produkts freizuhalten von ästhetischen
Erwägungen und Interpretationen.
Neben der linguistischen Komponente spielt der Modus des Seriellen
eine wichtige Rolle. Auch das ist ein Verfahren, das die Kunst
generell verändert hat und in der Minmal Art und der Konzeptkunst
gleichermaßen bedeutsam ist. In dieser Ausstellung kann man
das sehr schön am Beispiel verschiedener früher Editionen
Sol LeWitts beobachten, die früheste aus dem Jahr 1971, wo
das System der bildimmanenten Wiederholungen und Abwicklungen auf
das Prinzip der technischen Reproduktion trifft. Es handelt sich
um sehr komplexe Strukturen, eine Variante innerhalb der Serie
verweist auf die anderen, ein genauer Plan legt die Art der Verweise
fest. Das innere Bezugssystem zum Plan wiederum verklammert die
Serie zu einer einzigen Arbeit. Deshalb würde es auch keinen
Sinn machen, Serien aufzuteilen oder sich ein vermeintlich attraktiveres
Blatt herauszufischen. Im Unterschied zu Abstraktionen, die am
Computer gerechnet werden, wie man sie zur Zeit im Künstlerhaus
sehen kann, tröstet uns Sol LeWitt mit kleinen Imperfektionen,
so minimal sie auch sein mögen.
Es ist interessant, dass die seriellen Verfahren in der aktuellen
Kunsttheorie auf einmal wieder von großem Interesse sind,
nach den Jahren, die von der Beschäftigung mit Erzählstrukturen
und Narrationen geprägt waren. Soeben ist im Reimer Verlag
ein neues Buch erschienen, das das Serielle als Technik, Konzept
und Methode untersucht. Über eine rein historische Einordnung
von Kunstwerken hinaus werden Übergänge und Verbindungen
zwischen den Kunstrichtungen deutlich und die Darstellungsmodi
von Künstlern, vor allem von Sol LeWitt, jenen verwandten
von Carl Andre, Robert Morris, und Donald Judd gegenübergestellt.
Der Kick liegt jedoch in den Berührungszonen von minimalistischen
Argumentationen mit der Pop Art und Andy Warhol, oder den seriellen
Narrationen von Cindy Sherman. Zu dieser Debatte wird die Ausstellung
von Hanne Darboven, die morgen im Museum moderner Kunst eröffnet,
einiges beitragen.
Zum Schluss habe ich noch eine kleine Überraschung für
Sie: es gibt ein Walldrawing von Sol LeWitt ganz in der Nähe.
Es ist eine permanent installierte Wandzeichnung im öffentlichen
Raum. Sie befindet sich in Wiener Neustadt und gehört zur
EVN Sammlung. Die Arbeit ist aus dem Jahr 1998 und ein schönes
Beispiel für LeWitts swingendes Spätwerk, das sich durch
imposante Großflächigkeit, opulente Farben und ein lässiges ‚more
or less’ auszeichnet, wie auf den Gouachen mit diesem Titel
im letzten Ausstellungsraum. ©
Dr. Brigitte Huck |
|