Dürer quälte nicht dieselbe unablässige Neugier wie Leonardo, die inneren Formen der Organe auszugraben. Für ihn war die Form selbst bereits Organ und organisch. Leonardo aber liebte es, sich dem Objekt seiner Neugierde zu nähern, ja in es einzudringen. Was ihn am menschlichen Schädel faszinierte ist das, was er dessen „innere Seite“ nennt; also die Höhlung der Augen mit ihrer verborgenen „Tiefe“: „alle sichtbaren Löcher“ sowie die weniger sichtbaren wie zum Beispiel jene Kanäle, durch die seiner Ansicht nach die Tränen direkt vom Herzen bis in die Augen steigen.
Paul Richer, nüchterner Laborchef und Anatom am Pariser Hospital Salpetrière, auch selbst Bildhauer und Professor an der Pariser Kunstakademie spricht vom Schädel als einer „Schachtel“, die das Gehirn, immerhin Sitz unseres Denkens, beherbergt. Noch Aristoteles hatte das Herz als Sitz des Denkens bezeichnet, erst später kam der Kopf, dessen Inneres für uns (lange) nicht sicht- und damit auch nicht denkbar war als mysteriöse Schachtel, deren Rätsel es zu lüften und geheime Winkel es zu befragen gelte, ins Visier. Diese Schachtel, diese Büchse der Pandora zu öffnen, alle „schönen Übel, die ganze Unruhe eines um sein eigenes Schicksal, seine eigenen Geheimnisse, seinen eigenen Ort kreisenden Denkens frei zu setzen“, so der französische Philosoph Didi Huberman, ist eine Frage, welche die Künstler immer wieder bewegt.
„Aitres“ - die Ausstellung von Mario Mauroner Contemporary in der Salzburger Residenz vereint Arbeiten vom bereits zum Klassiker der
Moderne gewordenen Antoni Tapies, dessen „Crane renverse“ im Zentrum seiner Retrospektive im Musée Picasso in Antibes stand bis zu den Österreichern Bertram Hasenauer und Alfred Haberpointner, die zuletzt auch auf internationalem Museumsparkett stark reüssieren konnten. Jaume Plensa interpretiert mit „Amativity“, einer Skulptur aus Corten Stahl, Franz Galls „Phrenologie“, die bestimmte Charakter- und Geistesgaben exakt bestimmten Arealen des Hirns zuordnete. Die solitäre, von Tony Cragg geschaffene Großskulptur „It is, it isn’t“ aus finnischem spezial-schichtenverleimten Holz, das sonst nur für den Bau von luxuriösen Yachten Verwendung findet, zählt ebenso zu den Objekten von absoluter musealer Qualität, wie die aus makellos weißem Carrara Marmor geschaffenen, mit seit dem Barock lesbaren Vanitas Symbolen besetzten sieben skulpturalen Traktate über die „Symbiose von Physikalität und Spiritualität“ des Belgiers Jan Fabre.
|