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Monica Bonvicini

Stagecage

Galerie Krinzinger
 02.09. - 30.10.2021

Eröffnung: 1. September, 19:00 Uhr

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".... Um 1450 vergleicht der italienische Bildhauer, Ingenieur, Architekt und Architektur-theoretiker Filarete (eigentlich Antonio di Pietro Averlino, * um 1400 † um 1469) den Architekten mit einer Mutter, die ein Kind – das Gebäude – empfängt und zur Welt bringt. ‚Wenn diese Geburt vollendet ist, d.h. wenn er in Holz einen kleinen Reliefentwurf der endgültigen Form gemacht hat, gemessen und proportioniert für das fertige Gebäude, zeigt er ihn dem Vater.‘ In dieser Schöpfungsfabel wird der ‚Vater‘ als Mäzen dargestellt, und wie Platons Demiurg oder Handwerker erschafft der Architekt nicht ein komplettes Gebäude, sondern sein Modell in maßstabsgetreuem Relief." Monica Bonvicini

Der Titel STAGECAGE von Monica Bonvicinis erster Einzelausstellung in der Galerie Krinzinger bezieht sich auf eine Ausstellung von architektonischen Bühnenmodellen an der Columbia University. Die gesprühten Zeichnungen von Never Tire (2020) sowie die großformatige Installation Be Your Mirror (2020) oder die Skulptur Stagecage (2021) sind Reflexion und Fortsetzung von Bonvicinis Beschäftigung und Erforschung der Etablierung des privaten Raums im Allgemeinen und seiner Diskrepanzen, wie Isolation, ausgrenzende Dynamik, Enttäuschung und das Aufkommen reaktionärer Gefühle.

Die architektonische Installation As Walls keep Shifting aus dem Jahr 2019 findet ihren Widerhall in den modellhaften Skulpturen, die norditalienische Sozialbauten nachbilden, jedoch setzt Bonvicini diese nicht in Reih und Glied, sondern ordnet sie übereinander an. Das Bild, das sich daraus ergibt, ähnelt einer einstürzenden Struktur. Zusammengehalten durch Klammern und Ledergurte erzeugen sie ein bedrohliches und beängstigendes Narrativ innerhalb der perfektionistischen Modelle. Sie verdeutlichen Monica Bonvicinis künstlerische Auseinander-setzung mit Architektur und der ihr innewohnenden Beziehung zu Geschichte, Erinnerung und Machtausübung. Die Skulpturen auf Spiegeltischen sind Bühne und Inszenierung zugleich, sie untersuchen die Verschränkung von Orts- und Sinnstiftung. Bonvicini nimmt den Akt des "Hausbauens" als künstlerische Übung und füllt ihn mit feministischen Wünschen und humorvollen Phantasien auf, wobei sie die Formen und Konzepte ständig verschiebt.

Die kahle Beschaffenheit der Struktur offenbart sowohl den Anfang als auch das Ende der Architektur; sowohl die metaphorische Konstruktion aller Gebäude, als häusliche, habituelle und sozial regulierende Räume, als auch die Überreste, die sichtbar werden, wenn Häuser durch sozioökonomischen Ruin, Waldbrände oder andere Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel verstärkt werden, dem Verfall überlassen werden, wie in Bonvicinis Serie von Schwarz-Weiß-Zeichnungen Hurricanes and Other catastrophes (2008).

Ihre Recherche materialisiert sich in der ortsspezifischen Arbeit Be Your Mirror, bei der die Architektur der Galerie als Ausgangspunkt dient, um über ihre eigene Funktion zu reflektieren. Die Verführung durch Täuschung, die die Kunst erleidet, veranschaulicht durch die halbverspiegelte Oberfläche der 20 Aluminiumplatten, die ansonsten unsauber und nebelig sind. Be Your Mirror reflektiert durch Handarbeit ein klares Bild der GaleriebesucherInnen und erinnert uns daran, dass alles, was glänzt, das Produkt harter, kontinuierlicher Arbeit und Pflege ist.

Ob im Kontext emotionaler Arbeit, wie in der Serie NEVER TIRE, oder durch die historisch nicht anerkannte Arbeit von Frauen mit The Yellow Wallpaper (2021) präsentiert die Schau den BesucherInnen vertraute Totems aus Design und Architektur, um die Beziehung zwischen Design, Arbeit und gebauter Umgebung zu problematisieren. Dies wird in Pendant (Guilt) #2 (2020). greifbar, wo die Ästhetik von öffentlichen Räumen, Garderoben und Umkleidekabinen genutzt wird – jene flüchtigen Vorzimmer, die wir jeden Tag unbewusst durchschreiten, unheimlich und volatil, versinnbildlicht durch das Wort GUILT.

Im Zentrum der Einzelpräsentation steht die Neonleuchtkraft von Joy, Power, Humor & Resistance (2020), die wie ein kommerzielles Werbeschild für die positiven Dimensionen von Arbeit wirbt – für eine ArbeiterInnenschaft, die sich zusammenschließen kann, um sich gegen kapitalistische Unterdrückung zu wehren.

MONICA BONVICINI (geb. 1965 in Venedig, Italien) Ihre vielseitige Praxis, die das Verhältnis von Architektur, Macht, Geschlecht, Raum, Überwachung und Kontrolle untersucht, wird in Arbeiten umgesetzt, die den Sinn des Kunstmachens, die Mehrdeutigkeit der Sprache und die Grenzen und Möglichkeiten der Freiheit hinterfragen.

Monica Bonvicini wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Goldenen Löwen der Biennale di Venezia (1999), dem Preis der Nationalgalerie für junge Kunst, verliehen von den Staatlichen Museen zu Berlin (2005), dem Rolandpreis für Kunst im öffentlichen Raum der Stiftung Bremen (2013), dem Hans Platschek Preis für Kunst und Schrift, Deutschland (2019), dem Oskar Kokoschka Preis, Österreich (2020). Ihre Arbeiten waren auf vielen bedeutenden Biennalen zu sehen, darunter in Berlin (1998, 2004, 2014), Istanbul (2003, 2017), Gwangju (2006), New Orleans (2008) und Venedig (1999, 2001, 2005, 2011, 2015) sowie auf der La TriennaIe Paris (2012); Einzelausstellungen u.a. Palais de Tokyo, Paris (2002), Modern Art Oxford, England (UK) (2003), Secession, Wien (2003), Staedtisches Museum Abteiberg (2005, 2012), Sculpture Center (2007), The Art Institute of Chicago (2009), Kunstmuseum Basel (2009), Frac des Pays de la Loire, Carquefou (FR) (2009), Kunsthalle Fridericianum, Kassel (2011), Centro de Arte Contemporaneo de Malága (ES) (2011), Deichtorhallen Hamburg (2012), BALTIC Center for Contemporary Art, Gateshead, England (UK) (2016), Berlinische Galerie (2017), Belvedere 21, Wien (2019) und Kunsthalle Bielefeld (2020). Permanente Skulpturen im öffentlichen Raum RUN (2012) im Queen Elizabeth Olympic Park, London, Hun ligger/She lies (2013) im Hafenbecken von Oslo vor dem Opernhaus und Stairway to Hell (2003) im Istanbul Modern. Monica Bonvicini lebt und arbeitet in Berlin.