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Wilhelm Scherübl

SARAH HANNAH OTTO EVA JEAN TONY NOAH

  KNOLL GALERIE
  31.08. - 29.10.2005

 

Vernissage: am Mittwoch, den 31.August 2005, um 19:00 Uhr


Martin Hochleitner in "Lichtentzug ­ zu einem Ausstellungsprojekt von Wilhelm Scherübl" Im Katalog wilhelm scherübl visible growth, Bibliothek der Provinz, Weitra, 2004.

... Tatsächlich bildet die Abklärung von Rahmenbedingungen eine für das Werk Scherübls besonders treffende Voraussetzung, die Komplexität seiner künstlerischen Autorschaft insgesamt verstehen zu können. Neben den formalen Eigenschaften und dem offenen Zugriff auf verschiedenste Gattungen wie Skulptur, Plastik bzw. Objekt, Malerei, Zeichnung, Aquarell, Druckgrafik, Fotografie sowie Installationen gehören zu diesen vor allem die jeweiligen konzeptuellen Ansätze bzw. auch die Ikonografie seiner Arbeiten.
Zeit und Natur bilden hierin die wichtigsten Parameter  im bisherigen Werk, das verschiedene kunsthistorische und kunsttheoretische Bezugsfelder kennt. Einerseits in Landart-Traditionen der 1960er und 1970er Jahre. Andererseits in einer großen Gruppe von künstlerischen Positionen, die mit Pflanzen und Naturprozessen ­ vor allem seit dem neokonzeptuellen Wandel der Skulptur seit den späten 1980er Jahren arbeiten. Titel wie "Natürlich/künstlich" und "Making Nature", an denen Scherübl in den letzten Jahren teilnahm, verweisen exemplarisch auf einen Reflexionskontext, der immer wieder Kunst und Natur zusammenführt.
Was Wilhelm Scherübl in diesem Gesamtzusammenhang in spezieller Weise auszeichnet, sind seine exakte Analyse von Ressourcen, die ihm an einem konkreten Ort zur Verfügung stehen, und die unabdingbaren Relationen zwischen der eigenen Biografie und der künstlerischen Arbeit. Biografie hat dabei viel mit dem Aufenthalt an konkreten Orten zu tun, auch mit der alpinen Situation in Radstadt, und führt folglich jedes künstlerische Projekt einer spezifischen Verortung zu.
Als internationales Phänomen wurde seit den 1980er Jahren die Frage nach dem Ortsbezug von Kunst zu einem immer wichtigeren Diskussionsansatz von Skulpturenprojekten im öffentlichen  Raum. Unter dem Schlagwort der "site specificity" galt es einen Kontext von Werk und Ort herzustellen. Folglich wurden Projekte u.a. aus einer Analyse der jeweiligen architektonischen  Situation, Untersuchungen bestimmter sozialer Abläufe bzw. aus Recherchen über historische Codierungen entwickelt.
Was die Arbeit von Wilhelm Scherübl insgesamt so interessant macht, ist, dass der Faktor Ortsbezug in seinem bisherigen Werk aus einer analytischen Beobachtung des eigenen Ich in bestimmten Situationen abgeleitet wird. Einfache Grundüberlegungen , wie das persönliche erlebte Zeitempfinden können hierbei den Ausgangspunkt für die weitere künstlerische Konzeption und die Struktur der jeweiligen Umsetzung bilden.
...
Menschen als Teile der eigenen Biografie und als Hinweis auf soziale Netzwerke im Betriebssystem Kunst verdeutlichen pointiert, worauf Wilhelm Scherübl mir seiner Arbeit letztendlich abzielt: Kunst als ein ausgesprochen spannendes und komplexes System von persönlichen Ordnungsversuchen zu realisieren."

 

 

Dieter Buchhart "Die Wahrnehmung der Zeit in den Werken Wilhelm Scherübls" Im Katalog wilhelm scherübl visible growth, Bibliothek der Provinz, Weitra, 2004.

Die eigene Existenz erscheint als ein Geflecht von Freiheit und Notwendigkeit, von geschichtlicher und natürlicher Zeit. ...
Merlau-Ponty spricht von jener nicht selbst konstituierten, einer scheinbar vorgegebenen und von uns nicht beeinflussbaren Zeit. ... Natur wurde längst infolge ihrer wissenschaftlichen Erschließung und industriellen Ausnutzung gesellschaftlich angeeignet. Die vom humanen Einfluss unberührte Natur wurde von der menschlichen  Kultur überformt und teil unserer Umwelt. ... "Natürlich" ist keineswegs mehr jenes nicht vom Menschen Geschaffene, sondern  vielmehr "das im Prinzip durch Herstellung Mögliche." Und doch kann n die natürliche Ze3it, so diese als jenes von der intellektuellen Kontrolle entkoppelte evolutionäre Zeitprogramm, wie jenes des Biorhythmus, verstanden wird, in Opposition sowohl zu jener von Merlau-Ponty bezeichneten geschichtlichen als auch der messbaren nach festgelegten festgelegten Einheiten strukturierten Uhrzeit gestellt werden. Die Einteilung in Sekunden, Minuten und Stunden wird im Folgenden technische Zeit genannt, die aufgrund der technischen Präzision der seit Hilfe von Sonnenstand und Erddrehung berechneten ­ der "natürlichen" Zeit ­ abweicht und mittels Schaltsekunden jeweils ausgeglichen werden muss. ...
Da kein dem Gehör oder Sehen vergleichbarer Zeitsinn existiert, ist diese aus unserer sinnlichen Erfahrung ausgeschlossen. Zeit ist eine Konstruktion und verleiht im Sinne des kantischen Verstandesbegriffs der Welt eine Struktur, eine zeitliche Ordnung. ... Unsere subjektive Gegenwart ist kein Zeitpunkt auf der Zeitachse zwischen Vergangenheit und Zukunft, sondern die Zeit umfasst einen gewissen Zeitbereich. Dieses Jetztzeitfenster von zwei bis drei Sekunden bestimmt auf der Verhaltensebene unser gesamtes Erleben und Handeln ...
Wilhelm Scherübl setzt sich seit langem konsequent mit  den scheinbaren Antagonisten der natürlichen und der technischen Zeit auseinander, wobei er diese mit der geschichtlichen Zeit verwebt. Er sucht dabei keineswegs die Position eines Künstler-Wissenschaftlers einzunehmen, sondern operiert aus seinem sowohl biografischen als auch biografischen Lebensbereich heraus. ...
Dementsprechend könnte das Werk als zeitgenössisches dreidimensionales Vanitas-Stilleben aufgefasst werden, wobei der Künstler den Schwerpunkt weniger auf die Vergänglichkeit, sondern vielmehr auf die Konfrontation der natürlichen und der technischen Zeit sowie des künstlichen Neonlichts mit jenem  des natürlichen Tageslichts verlagert. ...
Im Allgemeinen bedeutet "Lichtentzug" die aktive Unterbrechung des natürlichen Sonnenlichts. In Scherübls Werk wird vorerst die aufkeimende Vegetation aufgrund des Ausbleibens der Fotosyntese unterdrückt und nach dem Entfernen der Eimer zum Eröffnungstermin seiner Ausstellung das Wiesenstück wieder dem Sonnenlicht exsponie3rt, welches nun Wachstum oder aufgrund der starken Sonneneinstrahlung Verbrennen bedeuten kann. Der Prozess wird mittels einer täglich aktualisierten Fotodokumentation im Ausstellungsraum festgehalten, während das künstliche Wachstumslicht unter Ausschluss natürlichen Lichts eine Vegetation produziert, die auf die prinzipielle Herstellbarkeit von Natur verweist. Zugleich markiert die technische Reproduzierbarkeit von Licht, respektive der zur Fotosyntese benötigten Lichtfrequenzen, die Steuerbarkeit des Wachstums der Pflanzen. Der Mensch kann mit dem natürlichen pflanzlichen Rhythmus interferieren und seine Zeit innerhalb eines kontrollierten Systems oktroyieren.
Scherübls Naturverständnis scheint jenem von Gernot Böhme verwandt, in dessen ökologischer Naturästhetik die Ästhetik bei der Neudefinition des menschlichen Naturverhältnisses eine entscheidende Rolle spielt und die apparative, experimentelle Sicht der Naturwissenschaften mit der organisch-lebensweltlichen Naturauffassung verbinden soll. Denn Natur ist für Böhme "überhaupt nicht mehr das Gegebene", sondern "das im Prinzip durch Herstellung Mögliche." Natur kann als sozial konstituiert verstanden werden und markiert das Ende der klassischen Vorstellung von Natur als jenes nicht vom Menschen Geschaffene. Die Natur wird laut Böhme als Garten im Zusammenwirken von Mensch und Natur gestaltet, wodurch dem Menschen zugleich Verantwortung für diese übergeben wird.

 

 

Wilhelm Scherübl: "Ob es sich, wie bei den minusaquarellen, um natürlich strukturen und das sichtbar machen von vorgängen handelt oder um namen, die mit leuchtstoffröhren an die wand geschrieben werden und für soziale prozesse und strukturen stehen, mich interessiert die komplexität von prozessen, die die welt am laufen hält."