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Tilmann Zahn

Offene Kanten

 Galerie Ulrike Hrobsky
 11.03. - 23.04.2022

Eröffnung: Donnerstag, 10. März 2022 von 17 bis 20 Uhr
es gelten die aktuellen Covid-19/Corona Verordnungen!


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Erschauern, in einer zarten Explosion

Sein persönlicher Weg zu den sinnlichen schmutzig-dunkel patinierten mit Schmieröl und Graphit bearbeiteten Farbflächen führte ihn zunächst zu Materialbildern mit dicken, pastosen Farbmassen und darin eingelassenen Fundgegenständen. So suchte er Orte auf, die andere meiden: Die schäbigen und unwirtlichen Rückseiten der glitzernden Konsumwelt. Zu Güterbahnhöfen, Industrieanlagen, Ladeplätzen für Lastautos führen seine Wege. Zu Orten, denen der Schmutz der Reisen, der Schweiß der harten Arbeit anhaftet.

Ab 2000 begann er einfache Formen von erfundenen Werkzeugen zweidimensional aus und auf Papier zu gestalten. Schließlich wurde die Form selber Bild. Damit begann er die Formen an wenigen Stellen, wo es das Motiv erforderte, zu perforieren, zu reißen. Diese Technik des Reißens des Papiers, stellt einen wesentlichen Teil des komplexen Arbeitsprozesses dar, dem er das Material unterzieht: Körniges, nicht grundiertes Papier badet er in verdünntem Öl und bearbeitet es anschließend mit Graphit.

„Omnia vanitas, als Ausgangspunkt des Neuen? denn die wahren Schönheiten finden sich nicht in den Auslagen unserer Konsumpaläste“.

Tilmann Zahn beschäftigt sich mit dem Phänomen der Vergänglichkeit, ihn faszinieren Prozesse von Entstehen und Verfallen, die selbst scheinbar dauerhafte Materialien, wie z.B. Eisen, im Lauf der Zeit in seine Bestandteile zersetzen.

So erhält das Entwertete neuen Wert, das Banal scheinende wird nobilitiert, das Profane wird letztlich zum Heiligen. Eine Reihe kleiner Arbeiten, die mit ihren herausgerissenen und sorgfältig wieder eingebetteten Zeichen an kunstvolle Intarsienarbeiten erinnern, nennt er denn auch „Kleinode“. Wenn nun Tilmann Zahn Leinwände perforiert und Papier in filigranste Gebilde zerreißt, dann geht es ihm immer auch darum, den Dingen auf den Grund zu gehen, bis in seine innerste Beschaffenheit vorzudringen, um dabei die Schönheit sichtbar zu machen, die sich erst in der Verletzlichkeit ganz offenbart.

Der rein manuelle Perforationsprozess, der immer auch etwas Meditatives an sich hat, steigerte er im Laufe der Jahre immer mehr, bis aus Gittern Netze wurden und seine ausgerissenen Motive sich heute als fragile, filigrane, ja skelettierte Formen darstellen, als Gerüste im weitesten Sinn die, Zeichnungen gleich, sich wenig von der Wand abheben. Diese Gerüste erinnern an Antennenanlagen („Radar“ oder „Dublin Piece“) über „Billboards“ bis zu Umspannwerken („Detroit“) die er als Vorlagen wählt, sein technisch-konstruktivistisches Interesse widerspiegelnd.
(©: K. Piwecki, 2008)

Diese Gerüste, mehr schon Skelette sind nicht nur Ausdruck seiner Faszination am Vergänglichen, Zerbrechlichem und Vergessenem, unter Bezug auf die „Vanitas“– Symbole alter Meister, als längst vergessene, geheime Botschaften aus einer vergangenen Welt, sondern vor allem Ergebnis seiner Außensicht. Diesem wird er in seinen kommenden Werken seine Innensicht, de facto als Metamorphose zum Entstehenden und Wachsenden, gegenüberstellen.

Doch entfernt von jeglicher Vanitas-Litanei bewirken seine Werke keine kontemplative Schwermut. Viel zu dynamisch sind sie in Form und Komposition, sie halten unsere Gedanken in Bewegung. Als „Hybridgerüst“ oder „Hybridschrott“ bezeichnet er jüngere Arbeiten und benennt damit einen Zustand des Dazwischen, der sich sowohl auf die Wirkung seiner Arbeiten bezieht - nicht mehr nur Papier und niemals wirklich Metall - als auch auf sein künstlerisches Konzept.
(©: P. von Sydow, 2014)

*1966 in Osnabrück, aufgewachsen in Düsseldorf seit dem zehnten Lebensjahr intensive Beschäftigung mit Malerei, später zusätzlich mit Fotografie. Starke frühe Eindrücke durch die in den 70er und 80er Jahren in Düsseldorf aktive Künstlerszene, insbesondere durch Joseph Beuys und Günther Ueker. Sehr früh begann er mit verschiedenen Materialien zu experimentieren, was ihn über Assemblagen schließlich zum Werkstoff Papier brachte. Tilmann Zahn lebt und arbeitet in Basel.